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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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trat ans Fenster und spuckte, und weil ich in der Nähe davon saß, sah ich die verschlungenen Gebilde, zu denen sich das geronnene Blut geformt hatte, und wußte somit den Grund, warum ich die finstere Gestalt (denn der Tod ist von jener Farbe, die schwärzer als das Schwarz der Gilde ist), die ihn begleitete, nicht sehen konnte: der Tod steckte in ihm.
    Ebenso wie ich entdeckt hatte, daß der Tod in neuer Gestalt, in Gestalt des Krieges, mich zu ängstigen vermochte, während ich ihn in seinen alten Gestalten nicht mehr fürchtete, so erfuhr ich nun auch, daß die Schwäche meines Körpers mich mit der grauenvollen Verzweiflung füllte, die mein alter Lehrer wohl ebenfalls empfunden hatte. Das Bewußtsein kam und ging.
    Das Bewußtsein ging und kam wie die sprunghaften Winde des Frühlings, und ich, der ich so oft Schwierigkeiten hatte, einschlafen zu können inmitten der bezwingenden Schatten der Erinnerung, rang nun darum, wach zu bleiben, wie ein Kind sich abmüht, einen launischen Drachen an einer Schnur steigen zu lassen. Zeitweise vergaß ich alles um mich herum und war mir nur meines Versehrten Leibes bewußt. Die Wunde an meinem Bein, die ich kaum gespürt hatte, als ich sie empfing, und deren Schmerz ich so leicht ertragen hatte, als Daria sie verband, pochte nun so nachhaltig, daß sie den Hintergrund zu all meinem Denken bildete – gleichsam wie die Wirbel vom Trommlersturm bei der Sonnenwende. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere in dem Glauben, auf jenem Bein zu liegen.
     
    Bald konnte ich hören, aber nicht sehen, bald sehen, ohne zu hören. Ich rollte den Kopf vom dichten Haarfilz Mamillians und legte ihn auf ein Kissen aus den winzigen Daunen von Kolibris.
     
    Einmal sah ich Fackeln mit züngelnden Flammen, die rotgolden leuchteten, von ernsten Affen getragen. Ein Mann mit den Hörnern und dem glotzäugigen Gesicht eines Stiers beugte sich über mich; ein Sternbild erwachte zum Leben. Ich sprach mit ihm und erklärte ihm, ich wisse leider nicht genau den Tag meiner Geburt, falls sein gütiger Geist der Weiden und wahren Kraft mein Leben gelenkt habe, danke ich ihm dafür. Dann fiel mir ein, daß ich das Datum kenne, da mein Vater bis zu seinem Tode alljährlich einen Ball für mich gegeben hatte; er falle unter den Schwan. Er lauschte aufmerksam und drehte den braunen Kopf, um mich aus einem braunen Auge zu beäugen.
     

 
Der Flieger
     
    Sonnenlicht in meinem Gesicht.
    Ich versuchte, mich aufzusetzen, und konnte mich sogar auf den Ellbogen stützen. Um mich herum glänzten bunte Farben – Purpur, Zyanblau, Rubinrot und Azurblau –, während die goldene Sonne wie ein Schwert durch dieses bezaubernde Farbenspiel drang und mir in die Augen schien. Dann wurde sie verdeckt, und der Schatten enthüllte, was ihre Pracht verschleiert hatte: ich lag in einem Zelt aus bunter Seide mit einer offenen Tür.
    Der Reiter des Mammuts kam zu mir. Er war mit einer safrangelben Robe bekleidet – wie bei allen unsren Begegnungen – und trug eine Rute, die für eine Waffe zu leicht gewesen wäre. »Es geht wieder besser«, meinte er.
    »Ich würde gern antworten und ja sagen, fürcht’ aber, das anstrengende Sprechen könnt’ mich umbringen.«
    Er lächelte hierauf, obgleich sein Lächeln nicht mehr als ein Zucken der Lippen war. »Wie du eigentlich am besten wissen solltest, ermöglichen die Mühsale, die wir in diesem Leben erdulden, all die famosen Verbrechen und netten Greuel, die wir im nächsten begehen werden … Bist du nicht aufs Sammeln erpicht?«
    Ich schüttelte den Kopf und legte mich zurück aufs weiche Kissen, das nach Moschus duftete.
    »Macht auch nichts. Es wird sowieso noch dauern, bis es soweit ist.«
    »Sagt das Euer Medicus?«
    »Ich bin mein eigener Arzt und ich habe dich höchsteigen behandelt. Der Schock war das Schlimmste … Es klingt zwar belanglos, wirst du jetzt denken. Aber daran sterben recht viele Verwundete. Wenn alle, die daran sterben, am Leben bleiben, verzichte ich gern auf diejenigen, die einen Stich ins Herz bekommen.«
    »Als Ihr Euer Arzt – und der meine – gewesen seid, habt Ihr da die Wahrheit gesagt?« Nun wurde sein Lächeln breiter. »Tu’ ich immer. In meiner Stellung muß ich zuviel reden, um ein Lügengewirk in Ordnung halten zu können; natürlich muß man wissen, daß die Wahrheit … die kleinen banalen Wahrheiten der Bauersfrauen, nicht die allumfassende Grundwahrheit, die ich ebensowenig auszudrücken vermag wie du … daß Wahrheit

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