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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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der Medicus mir zu verstehen gegeben hatte, war er noch am Leben, und eines Nachts, als meine Wächterinnen angeregt miteinander plauderten und ich vor unserem kleinen Feuer kauerte, sah ich den alten Führer (seine verkrüppelte Gestalt und der übergroße Kopf, den seine Maske ihm verlieh, schlossen jede Verwechslung aus) zu diesem Palankin gehen und darin verschwinden. Es verging eine ganze Weile, bis er wieder davonschlurfte. Dieser Greis war angeblich ein Uturuncu, ein Schamane, der sich in einen Tiger verwandeln konnte.
     
    Einige Tage nach unserem Aufbruch von der Zikkurat, wobei wir bislang auf nichts gestoßen waren, was den Namen Straße oder auch nur Pfad verdient hätte, gelangten wir zu einem Haufen Toten. Es waren Ascier, die man ihrer Kleidung und Ausrüstung beraubt hatte, so daß die spindeldürren nackten Leichen umherlagen, als wären sie vom Himmel gefallen. Ich hatte den Eindruck, daß sie etwa eine Woche tot seien; aber sicherlich war die Verwesung wegen der Hitze und Feuchtigkeit besonders schnell vorangeschritten, so daß noch nicht so viel Zeit vergangen sein konnte. Die Todesursache war nur in den seltensten Fällen offenkundig.
    Bis jetzt hatten wir nur wenige Tiere gesehn, die größer waren als die seltsamen Käfer, welche nachts unser Feuer umschwirrten. Die Vögel, die aus den Wipfeln herunterschrien, blieben größtenteils unsichtbar, und wenn die blutsaugenden Vampire uns heimsuchten, so blieben ihre pechschwarzen Flügel in der düsteren Nacht verborgen. Nun indes marschierten wir, wie’s schien, durch ein Heer von Tieren, welche von den vielen Leichen angezogen worden waren, wie das Saumtier Fliegen anlockt. Kaum eine Wache verstrich, wo wir nicht das Bersten von Gebeinen zwischen mächtigen Kiefern vernahmen oder des Nachts grüne und scharlachrote Augen, wobei zwischen so manchem Paar zwei Spannen Abstand lagen, außerhalb des kleinen Lichtscheins unseres Feuers sahen. Obgleich es unsinnig schien, daß übersättigte Aasfresser uns anfallen würden, verdoppelten meine Wächterinnen die Posten; wer schlief, schlief im Harnisch, eine Streitaxt fest in der Hand.
    Mit jedem Tag wurden die Leichen frischer, bis zuletzt nicht mehr alle der Herumliegenden tot waren. Eine Wahnsinnige mit gestutztem Haar und starren Augen trat unmittelbar vor unsrer Gruppe zwischen die Kolonne, schrie Wörter, die keiner verstehen konnte, und verschwand zwischen den Bäumen. Wir hörten Hilferufe, Schreie und irres Geplapper, von Verwundeten und Sterbenden, aber Vodalus gestattete keinem, sich zur Seite zu wenden, und am Nachmittag dieses Tages nahm uns – im selben Sinn, wie uns der Dschungel aufgenommen hatte – die wilde ascische Horde auf.
    Unsere Kolonne bestand aus Frauen und Vorräten, Vodalus selbst samt seinem Hofstaat und ein paar seiner Adjutanten mit ihrem Gefolge. Alles in allem war das nicht einmal ein Fünftel seiner Haufen; aber wenn jeder Rebell, der unter seiner Fahne focht, sich verhundertfacht hätte, hätte das angesichts dieser Unzahl nicht mehr als einen Becher Wasser im Gyoll ausgemacht.
    Als erstes begegneten wir der Infanterie. Mir fiel ein, daß der Autarch mir erklärt hatte, die Waffen würden erst vor der Schlacht ausgeteilt; wenn das stimmte, waren ihre Offiziere wohl überzeugt, eine solche stehe unmittelbar oder bald bevor. Ich sah Tausende, die mit Spießen bewaffnet waren, so daß ich schließlich zur Überzeugung gelangte, die ganze Infanterie sei so ausgestattet; bei Nachteinbruch indes überholten wir weitere Tausende, die Halbmonde mit sich trugen.
    Weil wir schneller marschierten als sie, bewegten wir uns immer tiefer in ihre Truppen hinein; aber wir kampierten eher als sie (falls sie überhaupt kampierten), und während der ganzen Nacht hörte ich ihre heiseren Rufe und ihren schlurfenden Schritt, bis ich endlich in Schlaf fiel. Am Morgen befanden wir uns wieder unter ihren Toten und Sterbenden, und es dauerte eine Wache oder länger, bis wir die einherstolpernden Fußsoldaten einholten.
    Diese ascischen Soldaten zeigten eine Standhaftigkeit, eine willenlose Ergebenheit in Befehle, wie ich das nirgendwo sonst erlebt hatte, wobei dieser Gehorsam, wie mir schien, nicht von einer Moral oder Disziplin herrührte, wie ich das unter diesem Begriff verstehe. Offenbar gehorchten sie, weil sie sich kein anderes Verhalten vorstellen konnten. Unsere Soldaten führen fast immer mehrere Waffen mit – zumindest aber eine Energiewaffe und ein langes Messer (unter den

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