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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gebeten hatte, und beschrieb Dr. Talos, wie ich ihn aus dem Schauspiel in Erinnerung hatte.
    »Entkam er sowohl den Kreaturen des Thaumaturgen als auch den Asciern? Oder haben die Ascier ihn? Vielleicht halten ihn die Frau und ihr Buhle verborgen.«
    »Ich sagte bereits, die Ascier haben ihn nicht gefangen.«
    Vodalus lächelte wiederum, wobei er allerdings den Mund unter seinen funkelnden Augen wie unter Schmerzen verzog. »Weißt du«, wiederholte er, »ich glaubte schon, du seist derjenige. Wir haben meinen Diener, aber er hat eine Kopfverletzung davongetragen und kommt höchstens einmal für ein paar Momente zu sich. Er wird, fürcht’ ich, bald sterben. Aber er hat mir immer die Wahrheit gesagt, und Agia behauptet, du seist als einziger bei ihm gewesen.«
    »Ihr glaubt, ich wäre der Autarch? – Nein.«
    »Dennoch hast du dich verändert seit dem letzten Mal.«
    »Ihr selbst habt mir den Alzabo und das Leben der Chatelaine Thecla gegeben. Ich habe sie geliebt. Meintet Ihr, es bliebe ohne Wirkung, von ihrem Fleisch zu kosten? Sie ist stets bei mir, so daß ich zwei bin in diesem einen Leib. Dennoch bin ich nicht der Autarch, der tausend in einem Leib ist.« Vodalus antwortete nicht, sondern kniff die Augen zusammen, als fürchtete er, ich könnte den Glanz darin sehen. Es herrschte Stille bis auf das Plätschern des Wassers und das Gemurmel der bewaffneten Männer und Frauen, die in hundert Schritt Entfernung miteinander plauderten und hin und wieder einen Blick zu uns herüberwarfen. Ein Ara flatterte krächzend von Baum zu Baum.
    »Ich möchte Euch auch in Zukunft dienen«, erklärte ich Vodalus, »wenn Ihr gestattet.« Ich war mir nicht sicher, ob das eine Lüge war, bis diese Worte über meine Lippen kamen; bestürzt versuchte ich dann zu ergründen, warum dieses Wort, das in der Vergangenheit für Thecla und für Severian gegolten hatte, für mich nun falsch sei.
    »›Der Autarch, der tausend in einem Leib ist‹«, zitierte Vodalus mich. »Das stimmt, aber wie wenige von uns wissen das.«
     

 
Der Marsch
     
    Heute, am letzten Tag vor meinem Aufbruch vom Haus Absolut, habe ich an einer religiösen Feier teilgenommen. Solche Rituale werden unterteilt in sieben Kategorien entsprechend ihrer Wichtigkeit oder »Transzendenz«, wie die Heptarchen sagen würden – worüber ich mir kaum bewußt gewesen bin in der Zeit, von der ich gerade noch geschrieben habe. An unterster Stelle, der Stufe der »Aspiration«, steht die persönliche Frömmigkeit, worunter persönliches Gebet, Steinwurf auf das Steinmal und so weiter fallen. Die Versammlungen und öffentlichen Anrufungen, worunter ich als Knabe die Gesamtheit der organisierten Religionsausübung gesehen habe, stehen eigentlich an zweiter Stufe, nämlich derjenigen von »Integration«. Was wir heute gemacht haben, gehört zur siebten und höchsten, der Stufe der »Assimilation«.
    In Einklang mit dem Grundsatz der Kreisförmigkeit waren die Errungenschaften aus den ersten sechs Stufen größtenteils entbehrlich. Es gab keine Musik, und die reichen Ornate der Gewißheit waren durch gestärkte Roben ersetzt, deren steifer Faltenwurf uns allen etwas Ikonenhaftes verlieh. Eingebettet in das glänzende galaktische Band wär’s uns nicht mehr möglich, die Feier zu begehen; aber um möglichst die ganze Wirkung zu erzielen, wurde die Anziehungskraft der Urth in der Basilika ausgeschaltet. Das war für mich ein neues Gefühl, und obgleich ich es nicht fürchtete, erinnerte es mich an jene Nacht in den Bergen, wo mir gewesen war, als müßte ich gleich von der Welt fallen – was ich morgen allen Ernstes in Angriff nehmen werde. Bald wurde die Decke zum Boden, bald eine Wand zur Decke (was für mich viel beklemmender war), so daß man beim Hinaufsehen durch die offenen Fenster einen Berg aus Gras erblickte, der endlos in den Himmel aufzuragen schien. So verblüffend er auch war, dieser Anblick, er war nicht weniger wahr als das, was wir für gewöhnlich sehen.
    Jeder von uns wurde zu einer Sonne; die kreisenden, bleichen Schädel waren unsre Planeten. Ich sagte, Musik sei entbehrlich gewesen, was jedoch nicht ganz stimmte, denn während sie uns umschwirrten, entstand ein feines Surren und Pfeifen, was die durch Augenhöhlen und Zähne strömende Luft verursachte. Jenen in einer fast kreisrunden Bahn entsprang ein gleicher Ton, der sich beim Drehen um die Achse kaum änderte; die Klänge derjenigen auf elliptischen Bahnen schwanden und schwollen an, stiegen beim

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