Die Zuckerbäckerin
war später Abend, als sie nach Bellevue zurückkehrten. Wilhelm hatte bei der Planung des Festgeschehens darauf bestanden, den Tag mit einem Theaterbesuch zu beenden. Obwohl Katharina sich passendere AbschluÃgesten hätte vorstellen können, hatte sie dazu geschwiegen. Wilhelms Leidenschaft fürs Theater war schlieÃlich nichts Neues für sie.
Jetzt war sie froh, nach dem langen Tag und dem endlosen Abend endlich wieder in Bellevue zu sein. Seit dem Tag zuvor hatte sie ihre Kinder nicht gesehen! Kurz überlegte sie, ob sie wohl einen Blick in die Prinzengemächer und dasZimmer der beiden Mädchen werfen sollte, entschied sich aber dagegen. Welchen Sinn hatte es, ihre Nachtruhe zu stören? Sie schenkte sich eine Tasse lauwarmer Milch ein, die Niçoise wie immer neben ihr Bett gestellt hatte. Nach einem Schluck des honigsüÃen Getränks verzog sie das Gesicht. Nein, danach stand ihr nicht der Sinn! Obwohl sie furchtbar müde war, fand sie doch keine innere Ruhe. Wie schön wäre es, bei einem Glas Rotwein die Geschehnisse des Tages nochmals gemeinsam Revue passieren zu lassen! Aber zu ihrer Enttäuschung hatte Wilhelm sich nach ihrer Rückkehr hastig zurückgezogen.
Seufzend trat sie auf den Balkon, der fast die ganze Vorderfront von Bellevue umfaÃte â und glaubte ihren Augen nicht zu trauen.
»Wilhelm! Schnell, komm heraus!« Ohne auf seine Antwort zu warten, rannte sie den Balkon entlang. Hinter den durchsichtigen Vorhängen sah sie ihn am Schreibtisch seines privaten Schreibzimmers aufschrecken.
Sekunden später stand er genauso sprachlos wie sie neben ihr. Vor ihnen, auf dem Neckar, entfaltete sich ein Schauspiel, wie sie noch keines gesehen hatten: Sämtliche Schiffe, die am Nachmittag bei dem groÃen Fischerstechen mitgemacht hatten, fuhren nun gemeinsam den Neckar hinab. Beleuchtet von Abertausenden von kleinen Lampen, die sich im Wasser widerspiegelten, hatte die Flotte etwas Geisterhaftes und Mystisch-Schönes zugleich. Immer wieder verschwand eines der Schiffe hinter einer der Trauerweiden, so daà sich Hell und Dunkel in einem eigenen Rhythmus abwechselten.
»Schau, sie kommen näher.« Katharina hatte sich bei Wilhelm eingehakt. Durch den festen Stoff seiner Uniform spürte sie ein leichtes Zittern. Sanft verstärkte sie ihren Druck auf seinen Arm.
»Nichts davon habe ich gewuÃt, diese Ãberraschung istwirklich gelungen, wer auch immer sie geplant haben mag.« Sichtlich bewegt trat Wilhelm einen Schritt näher an die Balustrade.
Die Schiffe waren jetzt fast auf gleicher Höhe mit Bellevue. Auf einmal ertönte Musik, süà wie eine laue Sommernacht. Wassernixen gleich sangen die Schiffermädchen ihr Lied, begleitet vom Klang verschiedener Instrumente.
»Wie zauberhaft!« Solch ein Schauspiel hätte sie den manchmal etwas nüchtern wirkenden Schwaben kaum zugetraut! Wie sehr hätte Maria Feodorowna dies gefallen! Und was für ein Jammer, daà sie die Kinder bei ihrer Rückkehr doch nicht geweckt hatte!
Auf dem gröÃten Schiff entbrannte jetzt eine strahlende Sonne, in deren Mitte Katharinas und Wilhelms Namen zu lesen waren. Ein klangvoller Tusch folgte und eröffnete einen Reigen Dutzender von Leuchtkugeln, die von den umliegenden Schiffen abgefeuert wurden. Goldene Strahlen schössen über den nachtblauen Himmel, kreuzten gegenseitig ihre Wege, um danach in einem rauchigen Bogen im Wasser zu erlöschen.
Gerührt wie selten nahmen Katharina und Wilhelm diese Liebesbezeugung ihres Volkes entgegen. Während ein hundertfaches Hurra aus den Kehlen der Schiffer ertönte, begann sich ihr Name im Lichterglanz langsam aufzulösen.
Kurz danach entfloh Wilhelm ohne viele Worte in seine Gemächer. Katharina blieb mit schmerzendem Herzen zurück. Warum hatte er diesen Hang zur Zurückgezogenheit in Augenblicken, wenn einzig und allein sie als Gesellschaft zur Verfügung stand? War ihm ihre Nähe unangenehm? Manchmal beschlich Katharina das Gefühl, als sei ihre Ehe nicht mehr als die Verbindung zweier Buchhalter, die gemeinsam die Geschäfte eines riesigen Landgutes zu führen hatten: War das Tagesgeschäft erledigt, ging jederseines Weges. Dabei harmonierten sie, was die Belange des Landes anging, wirklich gut miteinander. Wieder einmal schalt Katharina sich für ihren Undank. Was wollte sie eigentlich noch mehr vom Leben?
War es ihr russisches
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