Die Zuckerbäckerin
andere zur Frau nahm? Wie soll das gehen?«
»Laà dein Herz sprechen, nicht nur deinen Verstand. Bitte Eleonore um Verzeihung. Und gib ihr damit die Möglichkeit, dir zu vergeben. Frauen haben groÃe Herzen â gröÃer, als ihr Männer das manchmal für möglich haltet.«
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K atharina hatte sich schon bis zur Hälfte der Korrespondenz durchgekämpft, als sie den etwas zerknitterten Umschlag in die Hände bekam. Ungeduldig, endlich mit ihrem Brief an Maria Feodorowna beginnen zu können, rià sie ihn auf â in der rechten Hand schon die Feder gezückt, um eine weitere Einladung abzulehnen. Nie würde sie das Gefühl vergessen, als sie der Karte und dem auf billiges Papier geschriebenen Begleitschreiben mit seinen schrecklichen Worten ansichtig wurde! Sie war zusammengefahren, und die Hälfte der schon beantworteten Briefe war von ihrem Bett, das Tintenfaà auf dem Silbertablett gefährlich auf die linke Seite gerutscht. Doch Katharina hatte nur wie gelähmt dasitzen können, den widerlichen Brief in der Hand.
Hochverehrte Königin,
wissen Sie eigentlich, daà Ihr verehrter gatte seit ewigkeiten eine liebschaft hat? Mit der hofschauspielerin Melia Feuerwall. Was muà er doch für ein unglücklicher mann sein, wenn er zu der alten hexe geht! Und was müssen sie für eine armselige ehefrau sein, ha.ha.ha!
Wie rabenschwarze Spinnen schienen die krakeligen Worte ihr entgegenzuspringen. Nein! Nein! Nein! Das konntenicht wahr sein! Ihr Kopf konnte nichts anderes mehr denken. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, tropften auf das Papier. Kein rationaler Gedanke war mehr möglich. Daà Papier und Schreibstil auf eine völlig ungebildete Person hinwiesen, die aus gänzlich anderen Kreisen stammen muÃte. Daà nichts von allem, was dieser Mensch schrieb, bewiesen war. Daà Wilhelm das Kärtchen einer Frau lange vor ihrer Ehe geschrieben hatte. Daà die Worte vielleicht sogar von einem armen, geistig verwirrten Menschen stammen konnten. Dunkle Erinnerungen an Briefe ihres Vaters, geschrieben im fiebrigen Wahn seiner Krankheit, kamen zurück und trugen dazu bei, ihr Seelenheil weiter zu zerrütten. Solche Worte hätten aus der Feder Zar Pauls stammen können. Mit diebischer Freude hatte er gegen beinahe jeden am Zarenhof intrigiert.
Stunde um Stunde saà sie reglos im Bett. Von Zeit zu Zeit öffnete sich vorsichtig ihre Tür, und Niçoise schaute herein. Mit fast übermenschlicher Anstrengung bemühte sich Katharina jedes Mal um eine alltäglich klingende Stimme und schickte Niçoise mit der Erklärung weg, sie litte unter unsäglichen Kopfschmerzen.
Erst viel später â war darüber schon Abend geworden? â waren wieder klarere Gedanken möglich, und Katharina hatte begonnen, Stück für Stück ihres verwundeten Herzens herauszuschneiden, in der Hoffnung, mit dem verbleibenden Rest überleben zu können.
Sie wuÃte nicht, ob sie ihrem Herrgott für ihren messerscharfen Verstand und ihre Fähigkeit, auch einer ungeliebten Wahrheit ins Auge schauen zu können, dankbar sein sollte. Hätte sie mit der Situation besser umgehen können, wenn sie eine Frau gewesen wäre, die Vasen an die Moirébezogenen Wände warf? Die laut tobend durch ihre Gemächer rannte, sämtliche Hofdamen um sich versammelnd,nach Bestätigung und Trost jammernd? Sie wuÃte es nicht. Ganz davon abgesehen, daà ihr dazu die Hofdamen fehlten, wie ihr in einem Moment bittersten Galgenhumors durch den Kopf schoÃ. Was verschiedene private Dinge anging, war lediglich Fräulein von Baur ihre Vertraute, anderes wiederum schrieb sie sich in Briefen an ihre Mutter vom Herzen. Und dann war auch noch Wilhelm ihr Vertrauter ⦠welch blanker Hohn! Das meiste hatte Katharina jedoch schon immer mit sich selbst ausgemacht. Von Kindesbeinen an war ihr diese Art, mit Konflikten umzugehen, vertraut. Und so wäre ihr etwas anderes auch jetzt nicht in den Sinn gekommen.
Konnte der Schreiber mit seinen Anschuldigungen recht haben? War sie so mit Blindheit geschlagen, daà ihr Wilhelms Liebschaft verborgen geblieben war? Hätte sie nicht irgend etwas fühlen müssen? Hatte sie nicht sogar etwas gespürt? Immer wieder hatte sie das Gefühl gehabt, Wilhelms Herz gehöre nicht ihr allein. Nur hatte sie als Nebenbuhlerin nie und nimmer eine andere Frau vermutet,
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