Die Zuckerbäckerin
gesagt?«
»Ich habâ gesagt, laà die Leut doch singen, wennâs ihnen danach zumute ist.« Je länger die Reise andauerte, um so mehr ging ihm Michael mit seinem ewigen Gejammer auf die Nerven. Leonard rechnete nach: Fast zehn Wochen waren sie nun schon unterwegs. Immer öfter zweifelte er an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Unruhig stand er auf und stieg über eine Gruppe kartenspielender Männer hinweg. Als das Boot einen unerwarteten Hüpfer machte, schwankte er ein wenig und trat dabei einem der Kartenspieler auf die Hand. Böse Beschimpfungen wurden ihm nachgeschrien, und er beeilte sich, mit eingezogenem Kopf fortzukommen. Etwas weiter hinten hatte er ein freies Stück Reling erspäht, da wollte er hin. Nun würde er die nächstenvier Wochen keine Möglichkeit mehr haben, vom Schiff herunterzukommen! Keine Möglichkeit, Michael und seiner mürrischen Art zu entfliehen. Daà er in seinem Feuereifer über die Auswanderung ins gelobte RuÃland gänzlich vergessen hatte, wie schwierig sein Bruder war, konnte sich Leonard nun, da er Michael wieder täglich um sich hatte, nicht mehr erklären.
Michael war ein durch und durch schwarzsehender Mensch, dem es nie gelang, dem Leben etwas Schönes abzugewinnen. In allem erkannte er nur das Schlechte, überall fühlte er sich übervorteilt, anderen miÃgönnte er jedes biÃchen Glück. Dabei übersah er völlig, wenn das Leben ihn mit Glück beschenkte: Gelang es ihm im Herbst, eine gute Weizen- und Haferernte einzuholen, jammerte er über die verhagelten Kirschen. Kam einer seiner Nachbarn mit einem Krug Bier vorbei â was selten genug vorkam, weil Michael nirgendwo sonderlich gut gelitten war â, freute er sich nicht etwa über den Besuch, sondern argwöhnte nächtelang, was der Mann von ihm wollen könnte. Statt sich über seine drei Söhne zu freuen, die, kaum daà sie laufen konnten, ihm eifrig bei der Hofarbeit zur Hand gegangen waren, beklagte er sich nur über die beiden Töchter, die ihm »die Haare vom Kopf fraÃen«. Michaels Art hatte sich auch auf der Reise nicht gebessert. Ganz im Gegenteil: Seinem Drang zum Jammern und Klagen wurde täglich neuer Zündstoff geliefert. Auf der ersten Reiseetappe hatte er auf einem Platz im Innenraum des Schiffes bestanden. Doch schon nach wenigen Tagen hatte er begonnen, sich bitterlich über die schlechte Luft, die beengten Räumlichkeiten und über die Rücksichtslosigkeit seiner Mitreisenden zu beschweren. Mit einer gewissen Häme erinnerte Leonard seinen Bruder daran, daà er für einen Lagerplatz oben an Deck plädiert hatte. Als sie in Wien auf ein anderes Schiff muÃten, beeilte sich Michael, für sich und seine Familie diesmaleinen Platz im Freien zu sichern. Doch bald begann er, sich auch über dessen Qualitäten zu beschweren: An Deck sei der Wellengang stärker zu spüren, auÃerdem sei es zu windig, die Gischt würde auf der Haut brennen und die Sonne auch ⦠Zuerst hatte Leonard versucht, um des Friedens willen seinen Bruder zu beschwichtigen, ihn von diesen oder jenen Vorteilen zu überzeugen. Doch als er merkte, daà Michael mit fast krankhafter Lust immer weiter nach etwas suchte, über das er nörgeln konnte, hörte er einfach nicht mehr hin.
Karla, Michaels Weib, ertrug die Launen ihres Mannes mit stoischer Ruhe. Es schien fast nichts zu geben, was sie aus der Fassung bringen konnte â allerdings auch nicht im Positiven. Leonard hatte das Gefühl, als fehle ihr ein entscheidender Teil, der in seinen Augen einfach zum Menschsein gehörte. Karlas Gefühllosigkeit â war das schon immer so gewesen? Oder hatte Michaels mürrische Art im Laufe der Jahre auf sie abgefärbt? Um wie vieles anders war da doch Eleonore! Eleonore, die sich über so kleine Dinge wie einen besonders gelungenen Kuchen freuen konnte. Die jeden neuen Tag staunend begrüÃte, die bereit war, allem und jedem unvoreingenommen und mit offenem Herzen zu begegnen. Kein Wunder, daà alle in der Küche sie zu schätzen gelernt hatten, Ludovika einmal auÃer acht gelassen. Eleonore ⦠schon ihren Namen zu denken, tat Leonard weh, und dennoch flatterte er täglich wie ein bunter, aufdringlicher Schmetterling durch seinen Kopf.
Oft bemühte er sich, sich einzureden, mit der Ankunft in RuÃland würde auch sein mürrischer
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