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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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noch verstorbenen Vater eine so tiefe Bitterkeit zu hegen? Was würde sie auslösen, wenn sie ihm von dem Brief erzählte? In ihrem Gesicht zuckte es leise, doch Wilhelm war zu sehr in seine Genugtuung versunken, als daß er etwas von Katharinas innerem Kampf gemerkt hätte.

19
    B arbara, die Frau von Peter Gertsch, dem Sattler und Prediger der Pregianzer, war verzweifelt. Seit sechs Wochen saßen die Auswanderer – oder sollte man nun nicht besser sagen: die Einwanderer? – schon auf der russischen Insel Ismail fest, und eine Woche Quarantäne sollte noch folgen. Was danach kam – Barbara wußte es nicht. Sie wußte bald gar nichts mehr. Ratlos blickte sie über die eng nebeneinanderliegenden Leiber hinweg, als könne sie nicht verstehen, was diese Menschen eigentlich mit ihr zu tun hatten.
    Wie die meisten hatte sie geglaubt, mit der Fahrt durch das »Eiserne Tor« den schwersten Teil der Reise hinter sich zu haben. Doch bald wurde sie eines Besseren belehrt. Konnte es etwas Schlimmeres geben, als von den Stromschnellen hin und her geschüttelt zu werden wie ein Hase von einem tollwütigen Hund? Hoch in die Luft war der ächzende Schiffsleib samt seiner menschlichen Fracht gehoben worden, um danach sofort wieder zwischen zwei Wellen niederzukrachen. Keine Menschenseele durfte an diesem Tag an Deck, zu groß war die Gefahr, von einer Welle über Bord geschleudert zu werden. Mit Schaudern dachte Barbara an den elenden Gestank der zusammengepreßten Leiber zurück, an das Weinen der Kinder, das Beten und Jammern der Erwachsenen. Doch irgendwann hatte das wilde Toben des Schiffes endlich nachgelassen und damit auch dieAngstschreie der Menschen. Erstaunt hatten sie festgestellt, daß das Schiff völlig intakt war, ja, nicht einmal den kleinsten Riß von der Fahrt durch die Hölle davongetragen hatte. Notdürftig hatten sie daraufhin versucht, sich vom Erbrochenen zu reinigen und das durcheinandergewirbelte Gepäck zu sortieren.
    Danach ging die Fahrt endlos weiter. Vorbei an verbrannten Steppen, an Uferböschungen mit nackten Felswänden und brackigem Sumpfwasser. Sengende Hitze und Abertausende von Stechmücken begleiteten die Fahrt, die nicht enden wollte. Daß schon jemals eine Menschenseele auch nur einen Fuß in diese gottverlassene Landschaft gesetzt haben sollte, konnte sich niemand vorstellen. Die Wildheit der Natur, die den Reisenden täglich begegnete und die unbezwingbar erschien, machte ihnen angst. Würde ihre neue Heimat genauso feindselig aussehen? Von Tag zu Tag wurde die Stimmung auf dem Schiff bedrückter. Dazu kamen der Hunger und die Krankheiten: Obwohl die Kolonnenführer allen eindringlich geraten hatten, genügend Lebensmittel für die lange Fahrt von Vidin nach Ismail mitzunehmen, hatte es keine zwei Wochen gedauert, bis die ersten ohne Nahrung waren. Zähneknirschend und recht unwillig hatten die anderen ausgeholfen, so gut es ging, doch auch deren Vorräte waren knapp bemessen. Auch das Wasser reichte hinten und vorne nicht aus. Geregnet hatte es schon seit Wochen nicht mehr. Niemand wußte, ob dies nun Fluch oder Segen war. Denn während des schrecklichen Unwetters eine Woche nach der Passage des »Eisernen Tores«, das das Schiff fast überspült hätte, hatte keiner Zeit gehabt, Regenwasser aufzufangen. Da galt es, die Kinder festzubinden, auf daß sie nicht von einer der riesigen Wellen weggespült wurden. Krampfhaft hatte man sich an seine Habseligkeiten geklammert, hatte versucht, losgerissene Säcke und Beutel zu retten, die wie wildgewordene Stiereüber das Deck hüpften. Noch nie war den Menschen eine Nacht so schwarz erschienen. Nicht einmal Blitze hatten das Toben des Sturmes erhellt, kein Mond und kein Stern waren zu sehen gewesen. Dafür war das Grollen des Donners lauter, als man es jemals gehört hatte, und vermischte sich mit den schrillen Angstschreien der Menschen zu einer unheimlichen Symphonie. In den Morgenstunden hatte das Unwetter endlich nachgelassen. Was das »Eiserne Tor« nicht vermocht hatte, war dem unmenschlichen Sturm gelungen: Verfroren, bis auf die Knochen durchnäßt, mußten die übermüdeten Menschen mit dem übermächtigen Ausmaß der Katastrophe fertig werden. Acht Opfer gab es zu beweinen: drei Kinder waren einfach nicht mehr aufzufinden, so daß man annehmen mußte, daß der Sturm ihre kleinen Leiber

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