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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Barbara einen Zipfel Decke mehr zu geben. Der an ihrer Stelle die schweren Wassereimer vom Brunnen ins Haus trug. In ihren Augen war ihr Leben nur dadurch einigermaßen erträglich geblieben. Als dann Peter Gertsch vor fünf Jahren in Obernhausen aufgetaucht war, sich mitten auf den Dorfplatz gestellt und gepredigt hatte, waren ihr nicht nur seine Worte, sondern auch er selbst wie die Erlösung erschienen. Von der christlichen Lehre der Pregianzer hatte sie noch nie gehört, doch was er zu sagen hatte, leuchtete ihr ein und erschien um ein vielfaches erträglicher als das ewige fromme Gestammel ihrer Mutter. Wo diese immer nur von Bußesprach, wurden bei den Pregianzern lustige Lieder gesungen. Buße und Bußlieder kannten sie gar nicht, hatte Peter Gertsch erklärt, denn durch den Akt der Taufe waren sie schließlich von Gott von all ihren Sünden befreit worden. Es war die Pflicht der Menschen, sich ihres Lebens zu erfreuen und zu Ehren Gottes zu tanzen und zu singen. Daß die anderen im Dorf Peter Gertsch und seine Anhänger als »Galopp-Christen« verspotteten, war Barbara egal. Ungläubig blickte sie nun auf die hohlwangige, schweißnasse Maske von Gertschs Antlitz herab. War das der gleiche Mann, der ihr Herz so hoch hatte schlagen lassen? Ohne einen Hauch von Wehmut hatte Barbara dem Dorf und ihrer Familie damals den Rücken zugekehrt und war mit dem Prediger gegangen. Doch nun dachte sie beinahe sehnsüchtig an das winzige Haus, in dem ihre Eltern und ihre Geschwister lebten. Was hatte sie schon gewonnen? Sie hatte die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens dicht an andere Leiber gedrängt auf dem harten Boden der Hütte verbringen müssen – und nun erging es ihr hier nicht besser. Sicher, die ersten Jahre mit Gertsch auf der Wanderschaft waren aufregend gewesen. Ein guter Redner war überall gern gesehen, immer fand sich jemand, der ihnen Speis und Trank und ein Dach überm Kopf anbot. Zu Gertschs Freude hatten sich ihnen immer mehr Menschen, die mit der alten Lehre der Kirche nichts mehr anfangen konnten, angeschlossen. Als mit der Hungersnot im letzten Jahr auch für die Pregianzer das Überleben immer schwieriger wurde, war Peters Entscheidung zur Auswanderung in den Augen der anderen ein folgerichtiger Schritt gewesen.
    Das hatten sie nun davon! Haßerfüllt schaute sie auf den Kranken hinab, der mit verdrehten Augen in den Himmel starrte. Wieder tunkte sie ein Tuch in den Wassereimer neben ihr und wischte ihm damit über das Gesicht. Was sollte sie nur machen, wenn er starb? Die Russen wollten keinealleinstehenden Frauen, ganz ausdrücklich hatte dies in den Ausreisepapieren gestanden. Alleinstehende Männer hingegen waren willkommen. Die konnten schließlich schaffen und arbeiten, während Witwen und Waisen in der neuen Heimat nur eine Last bedeuteten, die niemand tragen wollte. Panische Angst schlich sich in Barbaras Herz. Um nichts in der Welt wollte sie allein mit Josef die ganze, weite Reise zurück antreten. Dazu hatte sie einfach nicht die Kraft. Und außerdem: Was erwartete sie schon in Württemberg? Voller Angst registrierte sie die immer schwächer werdenden Atemzüge ihres Mannes. Tief drinnen wußte sie, daß alle ihre Bemühungen umsonst waren. Peter würde sterben. Sie sah in Josefs weitaufgerissene, ängstliche Augen. Mit kindlichem Zutrauen erwartete er von seiner Mutter, daß durch ihre Taten alles wieder gut werden würde. Wütend schalt sie sich für ihre Zögerlichkeit, sich das Ausmaß von Peters Erkrankung nicht schon früher einzugestehen. Woher kam nur diese Unentschlossenheit in ihr? Hatte sie sich von den anderen im Lager womöglich schon anstecken lassen? Mit einer achtlosen Geste ließ sie seinen Kopf von ihrem Schoß rutschen. Wieviel Zeit sie mit seiner Pflege vergeudet hatte! Unvermittelt und mit einem unbändigen Überlebenswillen traf Barbara eine Entscheidung: Von diesem Augenblick an würde sie auf das richtige Pferd setzen. Welches das richtige war, hatte sie schon im Sinn. Und die passenden Brocken, um es anzulocken und einzufangen, hatte sie auch.
    Am nächsten Tag wurde Peter Gertsch beerdigt.
    Die Lagerbewohner hatten von den Russen die Genehmigung bekommen, ihre Toten am Rande des Lagers in einem speziell für diesen Zweck abgesteckten Stück Boden zu begraben.
    Nachdem der Prediger krank geworden war, hatte Martin Niederecker dessen

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