Die Zufalle des Herzens
winkte ihr schüchtern zu. Der kleine Junge, der vor ungefähr einem Monat schwankend versucht hatte, ihr die Tür zu öffnen, lag daumenlutschend auf dem Rücken zwischen seinen Geschwistern. Sie waren alle fein gemacht – Krawatten und Jacketts, ein Rüschenkleidchen für Laura. Das Jackett des älteren Jungen war an den Handgelenken zu kurz.
»Wenn das nicht ein hübsches Völkchen ist! Ihr seht alle wunderschön aus«, sagte Dana zu Mary Ellen, die ein Kleid anhatte. An der Schulter begann eine Naht zu platzen.
»Irgendwie hab ich das Bedürfnis verspürt«, sagte Mary Ellen mit leicht stockender Stimme. »Zu feiern.«
»Das ist doch klar«, sagte Dana. »Es ist Thanksgiving.«
Mary Ellen lachte leise. »Die Auswahl an schicken Sachen ist allerdings nicht sehr groß. Ich war schon eine ganze Weile nicht mehr einkaufen.«
Da schlurfte Dermott ins Zimmer, bekleidet mit Jackett und Krawatte und einem Gürtel, der so eng geschnallt war, dass seine Hose an Stellen Falten warf, wo es vorher keine gegeben hatte. »He, da ist ja die gute Hexe von Cotters Rock«, sagte er mit einem fahlen Lächeln.
»Ich habe gerade Ihrer Frau gesagt, wie schön Sie alle aussehen.«
Alder und Jet, die gerade die letzten Servierplatten in der Küche abgestellt hatten, gesellten sich zu Dana. »Viel besser als wir«, sagte Jet. »Ungelogen.«
Alders Blick lag auf Mary Ellen. »Hätten Sie vielleicht gerne ein Foto?«, fragte sie.
»Oh ja! Wir brauchen ein Foto!« Mary Ellen ging hinaus, um einen Fotoapparat zu suchen.
Dermott schlurfte weiter vorwärts, bis er bei Dana angekommen war und sich vorbeugte, um sie auf die Wange zu küssen. »Das habe ich Ihnen eingebrockt«, nuschelte er. »Ich bin derjenige, der Sie angefordert hat.«
»Das ehrt mich«, sagte sie. »Und glauben Sie mir, es war mir ein großes Vergnügen.«
Mary Ellen kam zurück und hielt Alder den Fotoapparat hin. Dann arrangierte sie die Kinder vor dem Kamin, den Kleinsten auf ihrer Hüfte und Dermott neben sich. »Jetzt sagt mal alle Cheese !«, meinte Dana. Doch der ältere Junge und Laura fingen an, sich zu kabbeln, und der Jüngste streckte die Hand nach unten aus und packte ein ganzes Büschel von Lauras Haaren. Ein Ausdruck der Verzweiflung legte sich auf Mary Ellens Gesicht, während sie sie zu beruhigen versuchte.
Es könnte das letzte Bild von ihnen allen zusammen sein , dachte Dana und zermarterte sich das Gehirn, wie sie helfen könnte.
»Hey«, brüllte Jet etwas lauter als notwendig, doch es erregte die Aufmerksamkeit der Kinder. »Sagt ›Barbecue mit Affengedärm‹!«
Die Kinder brachen in Gekicher aus, und Dermott, der seiner Frau den Arm um die Taille gelegt hatte, zog sie kurz an sich. Ihr Kinn hob sich beim Lachen. Da Alder den Auslöseknopf heruntergedrückt hielt, gab der Fotoapparat immer wieder sein automatisches Klicken von sich.
Als die drei wieder nach Hause kamen, holte Connie gerade die Auberginen aus dem Ofen, und obwohl der Tofu obendrauf in unnatürlich gleichmäßiger Weise gebräunt war, roch es wunderbar. »Das war’s!«, sagte sie. »Alles andere steht schon auf dem Tisch.« Für einen Moment stellte sie die Auflaufform auf dem Ofen ab, und Alder umarmte sie.
»Wow!«, rief Jet aus dem Esszimmer. »Was zum Teufel …!«
»Was ist denn los?« Dana eilte, dicht gefolgt von Connie und Alder, zu ihr hin.
»Dieses orangefarbene Zeug ist ja komplett mit Marshmallows bedeckt. Was für ein verdorbenes Hirn hat sich das denn ausgedacht?«
Am Nachmittag war das Essen längst vorbei, aber die vier saßen immer noch, auf ihren Stühlen herumlümmelnd, am Tisch. Sie schlürften koffeinfreien Kaffee, bis er lauwarm wurde und die Sahne sich obendrauf absetzte. Connie und Dana lachten über Feiertagsessen in früheren Jahren, als die Kinder noch klein waren und unkontrollierbaren Impulsen gehorchten wie dem, die Sauciere umzukippen, auf den Stühlen zu stehen, ihr Essen wie Play-Doh zu formen oder sich während des Nachtischs die Windeln runterzuziehen. Jet, die mit den Beinen über einer Armlehne seitlich auf ihrem Stuhl saß und nach und nach die letzten Süßkartoffelreste aus der Auflaufform fischte, war für ihre Verhältnisse ungewöhnlich still. Mit verstohlener Aufmerksamkeit hörte sie zu, als könnte sie diese Geschichten irgendwie in ihre eigene Geschichte aufnehmen.
Es klingelte an der Tür, und jede suchte in den Gesichtern der anderen nach einem Hinweis. Als es erneut klingelte, erhob sich Dana, um aufzumachen. Auf der
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