Die Zufalle des Herzens
gerade ein bisschen durch den Wind.«
»Natürlich ist sie das. Und ich freue mich, wenn sie hierbleibt.« Dana grinste ein wenig. »Aber das wusstest du schon vorher.«
Alder zuckte die Schultern. »Du hast eine Schwäche für Streuner. Du bist so was wie … eine Adoptivmutter.«
»Dazu kann ich nichts sagen. Ich wusste gar nicht so genau, ob ich dich aufnehmen sollte.«
»Oh, bitte. Das war doch so sicher wie das Amen in der Kirche. Du hattest nur keine Lust, es mit Connie aufzunehmen.«
Dana lachte laut auf und drohte ihrer Nichte mit dem Finger. »Alder Garrett, du bist … Ich weiß nicht, aber du bist echt eine Marke !«
Alder grinste und lehnte sich an den Schreibtisch an. »Gut, dann habe ich, glaube ich, einen Plan.«
Ein Hauch von Besorgnis regte sich in Danas Brust. »Lass hören«, sagte sie.
»Also, Jets Mom ist für vier Wochen in der Reha, das heißt, sie kommt zwei Tage vor Weihnachten raus. In der letzten Woche soll sie Besuch bekommen und so was, und Jet ist ein bisschen, ähm …«
»Verunsichert.«
»Ja, sie ist total verunsichert. Deshalb hab ich gedacht, ich bleibe hier, bis sie da durch ist.«
»Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen?«
»Ja, sie ist nicht gerade ausgeflippt vor Freude, aber ich habe ziemlich hart verhandelt.«
»Was kriegt sie denn dafür, dass sie dich noch einen Monat länger hierbleiben lässt?«
Alder wickelte sich die Kordel ihrer Kapuze um den Finger. »An Neujahr zu Hause«, sagte sie. »Endgültig. Ohne Scheiß.«
»Das klingt nach einem guten Deal.«
»Einem sehr guten sogar.«
Dana seufzte. Die Vorstellung, Alder zu verlieren, war schlimm, aber andererseits war ein ganzer zusätzlicher Monat wirklich mehr, als sie hatte erwarten können. Die Spitze von Alders Finger wurde von der fest darum gewickelten Kapuzenkordel allmählich dunkelrot, und Dana zog an ihrer Hand, um den Blutstau zu lösen. »Sie kann von Glück sagen, dass sie dich hat«, sagte sie zu Alder. »Und ich, dass sie so großzügig ist, dich mit mir zu teilen.«
Alder lächelte verlegen. »Ich habe ihr noch nichts von Weihnachten gesagt.«
»Wo wird Weihnachten sein?«
»Hier.«
- 45 -
A ls Dana am Montagmorgen um kurz vor acht zu Arbeit kam, war die schwere Glastür bereits aufgeschlossen. Sie ging hinein und spähte in Tonys Büro. »Hallo«, sagte sie.
Er blickte von den Papieren auf seinem Schreibtisch hoch, und seine Finger legten sich ineinander, als wollten sie dort zwischen den Patientenkarten und Fachzeitschriften irgendein wildes Tier hinter einem Zaun einsperren. »Hallo«, sagte er, jeden Zentimeter von ihr mit den Augen aufnehmend.
»Du bist früh dran.«
»Ich versuche nur, den Schreibkram wegzukriegen«, sagte er leichthin. »Der nimmt inzwischen mehr Zeit in Anspruch als die Patienten.«
»Danke noch mal, dass du mir am Samstag geholfen hast. Du hättest Gradys Gesicht sehen sollen.«
»Ja?«
»›Du warst auf dem Dach ? Von meiner Schule ? Mit einer Leiter ?‹ Als wäre ich zu Fuß zum Polarkreis gegangen.«
Tony lächelte, und sie sah, wie die glatte Haut um seine Augen sich in perfekte kleine Falten legte. »Diese Geschichte wird er für den Rest seines Lebens erzählen.«
Der Gedanke gefiel ihr. Bald darauf begann ihre beiderseitige Freude sich albern anzufühlen, und sie sagte: »Ich glaube, ich geh jetzt mal wieder an die Arbeit.«
»Okey-doke.« Er wandte sich wieder seinen Papieren zu.
»Okey-doke«? , dachte sie, als sie ihren Computer hochfahren ließ. Das klang nicht nach ihm. Allerdings brauchte sie sich darüber nicht lange den Kopf zu zerbrechen, denn in dem Moment kam Marie mit einem Gehgips am Fuß herein. Dana sprang auf, um ihr mit der Tür zu helfen. »Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
»Fragen Sie nicht«, erwiderte Marie. Und das war anscheinend ihr Ernst, denn die Frage wurde nie beantwortet, nicht einmal in der Mittagspause, in der sie alle drei um den kleinen Tisch saßen und über nichts Interessanteres zu reden wussten als über das Neueste aus den Nachrichten und mögliche Verbesserungen im Wartebereich. Nach ungefähr zwanzig Minuten verdrückte sie sich wieder an ihren Schreibtisch.
»Kann ich mit dir sprechen?«, fragte Tony, der in der Tür erschienen war, als sie sich reckte, um eine Karte einzuordnen.
In ihrem Kopf ertönte ein ganz leiser Akkord der Besorgnis. Es klang ernst – vielleicht wegen des Kusses? –, aber in diesem Punkt war sie sich über ihre Gefühle noch nicht im Klaren und wollte eine
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