Die Zufalle des Herzens
alles in der Welt meinte er damit?
Die Verwirrung stand ihr wohl ins Gesicht geschrieben, denn er fügte hinzu: »Letzte Woche haben Sie gesagt, Sie seien kurz davor, arbeitslos zu werden …«
»Ach so! Ja, das war – äh, bin ich! Heute ist sogar mein erster Tag ohne Arbeit, und ich dachte, ich würde es als Erleichterung empfinden, aber irgendwie fehlt sie mir.«
»Dann sind Sie also daran interessiert, etwas Neues zu finden? Ich habe nämlich mit meinem Partner gesprochen, und wir meinen, dass es an der Zeit ist, uns Hilfe zu suchen. Die Geschäfte gehen gut, aber wir hassen es beide, Telefonate zu führen – sind uns deswegen vor zwei Tagen sogar in die Haare geraten … Jedenfalls ist es ein Erneuerbare-Energien-Unternehmen, noch ganz jung. Die Stelle ist die einer Büroleiterin. Material bestellen, Abläufe verfolgen, sich um Kunden kümmern, wenn wir außer Haus sind. Wir sind noch nicht so weit, jemanden Vollzeit zu beschäftigen – vielleicht zwanzig, fünfundzwanzig Stunden die Woche.« Er sah skeptisch aus. »Das ist nicht genug, oder?«
»Um ehrlich zu sein«, sagte Dana, »das ist eine ganze Menge.«
Als sie ein paar Stunden später mit dem Chili, das sie sicher in einer Einkaufstasche auf dem Rücksitz verstaut hatte, zu den McPhersons fuhr, war sie zuversichtlich. Ben hatte seinen Partner noch von der Tribüne aus angerufen, um ein formales Bewerbungsgespräch für Mittwoch auszumachen. In seiner Stimme hatte eine neckende Zuneigung mitgeschwungen, die über die Grenzen einer Geschäftspartnerschaft oder Freundschaft unter Männern hinauszugehen schien. Dana fragte sich, ob das wohl der Grund für seine Scheidung gewesen war.
Sie fuhr unter einem blauschwarzen Himmel dahin, und um halb sechs leuchteten bereits die Straßenlaternen. Wie schon das ganze Wochenende über war ihr zumute, als könnte sie Tonys Arme um ihre Taille und seine Lippen auf ihrer Wange wieder spüren. Trotz der Unklarheit zwischen ihnen hatte es sich so … gut angefühlt.
Vielleicht zu gut . Im Gegensatz zu dem Kuss auf dem Dach, der bei ihr ein Gefühl der Angst und Verwirrung ausgelöst hatte, hatte die Umarmung auf dem Parkplatz – die Zärtlichkeit, mit der er ihren Schal zurechtgezupft und sie auf die Wange geküsst hatte – sich völlig normal angefühlt. Ohne das Schieben und Ziehen, ohne das unausgesprochene Verhandeln, das sie von Kenneth und anderen Männern her kannte. War die Umarmung geschwisterlich gewesen? Nach gründlicher Überlegung verwarf sie diese Möglichkeit. Vertraut vielleicht, aber nicht wie zwischen Bruder und Schwester.
Als Dana vor dem Haus der McPhersons ankam, sah sie zwei zusätzliche Autos in der Einfahrt stehen und fragte sich, ob der Besuch wohl zum Abendessen blieb. Zwar hatte sie wie üblich etwas mehr gemacht, aber das würde auch nicht ewig reichen. Eine Fremde machte ihr die Tür auf.
»Ich bin Dana Stellgarten. Und bringe das Abendessen.«
Die Frau blinzelte Dana an, als verstünde sie kein Wort.
» COMFORT FOOD ?«, sagte Dana. »Sind Mary Ellen oder Dermott da?«
»Oh Gott«, murmelte die Frau. Sie warf einen flüchtigen Blick hinter sich, machte die Tür etwas weiter auf und griff nach der Einkaufstasche. »Hier, geben Sie es einfach mir.«
»Wer ist da?«, kam eine Stimme.
»Nur eine Essenausfahrerin«, rief die Frau zurück.
»Warten Sie!« Mary Ellen erschien in der Tür, die Augen rot gerändert, den Pferdeschwanz halb aufgelöst. »Dana!«, sagte sie. »Ich wusste, dass Sie es sind«, dann fing sie an zu weinen. Als Dana auf sie zutrat, streckte Mary Ellen die Arme nach ihr aus, klammerte sich an sie und schluchzte in anfallartigen Krämpfen. Dana warf der Frau hinter ihnen einen fragenden Blick zu, worauf diese unhörbar mit den Lippen formte: Dermott ist heute gestorben .
Die Arme umeinandergeschlungen, standen sie in der Tür und weinten minutenlang, es hätten aber auch Stunden gewesen sein können. Zusammengepresst von der verzweifelten Umarmung dieser jungen Witwe kam Dana sich vor, als hätte ihr Inneres sich verflüssigt und alle ihre Sorgen, alle Wünsche, die sie für sich und ihr Leben hegte, wären durch ihre Fußsohlen hinausgesickert.
Ungefähr eine Stunde zuvor war es passiert. Er hatte sich am frühen Nachmittag zu einem Nickerchen hingelegt und war im Schlaf gestorben. Mary Ellen war gekommen, um nach ihm zu sehen, und konnte die Kinder gerade noch zu einer Nachbarin hinüberschicken, bevor sie es mitbekommen hätten. Minuten später waren
Weitere Kostenlose Bücher