Die Zufalle des Herzens
Millionärsteenagerin, die ganz sicher in jeder Wellblechhütte in jedem beliebigen Land der Dritten Welt erkannt wurde, sah aus, als hätte man sie aufs Geratewohl aus der Feldhockeymannschaft irgendeiner Highschool herausgepickt.
Dana hätte Morgan gerne gefragt, was sie von diesem Mädchen hielt. Ob es befriedigend war zu sehen, wie eine, die vermutlich alles hatte, ebenso zur Rechenschaft gezogen wurde. Oder ob Morgan genau wie Dana erkannte, dass das Mädchen irgendwo hinter den überteuerten Klamotten und überkronten Zähnen eine reale Person war, mit realem Schmerz, und viel zu jung, um auf diese Weise Missbrauch an sich selbst zu üben. Doch Morgans Augen huschten jedes Detail einsaugend über die Seiten, und Dana wusste, dass sie, wenn sie sie unterbrach, lediglich ein gereiztes Schulterzucken ernten würde.
Danas Blick fiel auf die Zeitschrift in ihrer Hand. Das Titelbild zeigte eine ältere Schauspielerin, die Hände auf schmalen Hüften, ein durch glänzenden Lippenstift betontes, siegreiches Lächeln. Auf dem körnigen Nebenbild war sie zu sehen, wie sie, eine Plastikeinkaufstüte an die Brust gedrückt, vom Bordstein auf die Straße trat. Sie trug eine Jogginghose und eine Jacke in Übergröße, die sich auf einer Seite bauschte und sie korpulent und abgerissen aussehen ließ. Die Bildunterschrift lautete: »Wieder in Größe 36, ich bin wieder ich!«
Dana hatte diese Schauspielerin als die süße Ulknudel aus einer Fernsehkomödie der Achtziger vor Augen. Eine Art Comeback also. Und Dana freute sich für sie, wenn auch mit einem Hauch von Eifersucht. Größe 36 , dachte sie. Ich wäre ja schon mit Größe 40 zufrieden. Doch dann ging es ihr auf: Ein Comeback wozu? Die Karriere der Frau war nicht wiederaufgelebt. Sie war jetzt nur dünner.
Die Tür des Wartezimmers ging auf, und Marie, die Zahnhygienikerin, sagte: »Morgan, jetzt bist du dran.« Morgan bemühte sich, Marie ein höfliches, kleines Lächeln zu schenken, ein Versuch, ihre Aufregung zu überdecken. Dana hätte ihr gerne irgendein Zeichen mütterlicher Ermutigung gegeben, doch sie kannte die Regeln. Elterliche Zuneigung verboten, außer im Schutz völliger Ungestörtheit und – falls möglich – Dunkelheit.
Die schillernden Starlets und attraktiven Knabenmänner, deren Namen sie nicht kannte, langweilten Dana bald. Sie schloss die Augen, lehnte den Kopf an die Stuhllehne und ging in Gedanken eine Checkliste durch. Papierteller für Morgans Party kaufen … Auto waschen lassen – auf dem Fußboden sind mehr Krümel als in einer Keksfabrik … Gradys Spiel am Sonntag … Football. Coach Ro. Diese hochgezogenen Augenbrauen, als sie sagte, dass sie geschieden sei. Seine Ehrlichkeit, die warme, bratpfannengroße Hand auf ihrem Rücken … Größer als Kenneth und breiter, wenn auch nicht ganz so gut aussehend … aber ziemlich nett … und ziemlich warmherzig …
»Mrs Stellgarten?«, sagte eine tiefe Stimme.
Danas Augen zuckten, und sie setzte sich kerzengerade hin. »Mmm?«, murmelte sie, »ja?«
Dr. Sakimotos Gesicht schwebte vor ihr. »Ich wecke Sie höchst ungern«, sagte er. »Sie sehen so friedlich aus.«
»Oh!« Sie fuhr sich mit der Hand über den Mund, um sicherzugehen, dass sie nicht gesabbert hatte. »Ich habe gerade …«
»Es ist Freitag«, sagte er lächelnd. »Wer braucht da nicht ein Schläfchen? Manchmal gehe ich in mein Büro, mache die Augen zu – und bin ausgeknipst wie ein Licht. Dann muss Marie irgendwas nach mir werfen.«
Dana seufzte. Dr. Sakimoto besaß ein solches Talent, Leuten die Befangenheit zu nehmen. »Ist sie schon fertig?«, fragte sie.
»Nein, noch nicht ganz.« Sein Gesicht bekam einen seltsam nachdenklichen Ausdruck. »Könnte ich Sie bitte kurz in meinem Büro sprechen?«
Dana stand auf und folgte ihm. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Dr. Sakimoto rief sie nie in sein Büro. Die Krankenversicherung , dachte sie. Kenneth versuchte immer, »die beste Ware für sein Geld zu bekommen«. Es war so typisch für ihn, den Leistungsumfang für sie zu ändern, ohne ihr etwas zu sagen.
»Bitte, nehmen Sie Platz. Dieser hier ist bequemer«, sagte er, auf einen Polsterstuhl mit einem blassgrünen Paisleymuster deutend. Das ist der Schlechte-Nachrichten-Stuhl! , dachte Dana. Dazu bestimmt, den Schlag abzufedern, den unbezahlte Rechnungen oder die Notwendigkeit einer Wurzelbehandlung einem versetzten. Er selbst ließ sich auf dem anderen Stuhl nieder, einem ramponierten Windsor-Stuhl, dessen Farbe an
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