Die Zufalle des Herzens
dehnte das Wort »Dana«, als würde es mit Bindestrich geschrieben. »Tschüss«, fügte sie hinzu, bevor die Tür hinter ihr zuschlug.
Ach du lieber Himmel, was mache ich denn jetzt? , dachte Dana, doch der Kombi war weg, bevor sie ihre Gedanken sortieren und etwas unternehmen konnte. Ich bin mit einem Teenager überfordert … Vielleicht hatte Kenneth recht. Sie dachte daran, ihre Schwester anzurufen, wusste aber, dass Connie empört sein würde – entweder weil sie es zu ernst oder weil sie es nicht ernst genug nahm. Dana konnte sich gut vorstellen, dass sie sagte: Flipp nicht gleich aus, Kinder kiffen nun mal! Aber genauso: Wie konntest du sie nur aus dem Haus gehen lassen!
Nicht dass Dana noch nie jemand Bekifften gesehen hätte. An der University of Connecticut hatte sie Marihuana ausprobiert; damals war sie mit einem Jungen namens Billy zusammen gewesen, der keinen Tag ohne verstreichen ließ. Auf einer Party hatte er einmal demonstriert, dass das Bongrauchen im Kopfstand einem massivste Schwindelgefühle bescherte. Dana rauchte nur die ganz dünnen Joints, die er eigens für sie rollte. Er nannte sie »Junior-Tüten« und mochte die Art, wie sie das Gesicht verzog, wenn sie zu inhalieren versuchte.
Billy war ganz und gar nicht ihr Typ gewesen. Er hatte ihr jedoch mit einer Entschlossenheit nachgestellt, die sie verlockend fand, vor allem da ihm ansonsten jede Form von Ehrgeiz zu fehlen schien. Er war süß und beliebt und intelligent, auch wenn er nicht viel daraus machte. Und die Reaktion der Leute, wenn sie sie zusammen sahen, ließ sie heimlich vor Vergnügen erschauern. Sie hoffte, alle würden endlich einsehen, dass sie mehr war als ein nettes Lächeln und ein Durchschnitt von Eins minus.
Schließlich trennten sie sich, weil es unmöglich war, eine normale Beziehung mit Billy zu führen. Dana wollte ihn verstehen, schaffte es aber nie ganz. Jedes Mal, wenn sie damals eine »Junior-Tüte« rauchte, beschlich sie der Verdacht, dass die anderen sich verschworen, um ihre gewissenhaft verfassten Unterrichtsmitschriften zu klauen. Und ohne sie, davon war sie überzeugt, würde sie von der Uni fliegen, sie würde nie im Leben einen Job finden und müsste von Sozialhilfe leben. »Hände weg von meinen Heften«, sagte sie in einer Wolke von Rauch zu Billy und seinen Freunden, die sich unter krampfartigem Keuchen über sie lustig machten, »und löst gefälligst eure eigenen Gutscheine ein.«
Im Rückblick war ihr Ausflug in die Welt des Marihuanarauchens albern und harmlos gewesen. Doch jetzt, wo ihre geliebte Nichte nachts high durch Cotters Rock zog, schienen die Möglichkeiten für eine Katastrophe unbegrenzt zu sein. Dana griff zum Telefon und wählte.
»Ist es schon vorbei?«, wollte Polly wissen. »Hast du’s überlebt?«
»Überlebt?«, fragte Dana.
»Ist heute Abend nicht Morgans Party?«
»Ach so, stimmt. Aber hör mal zu, ich brauche deinen Rat.« Dana wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte. »Hast … hattest du je mit Kindern zu tun, die Marihuana geraucht haben? Natürlich nicht unbedingt deine Kinder, aber … na ja, vielleicht deren Freunde?«
»Rauchen diese Mädels auf Morgans Party etwa Marihuana?« Schon war Polly in Danas Namen erbost. »Dann solltest du auf der Stelle all diese Eltern anrufen und …«
»Nicht Morgans Freundinnen. Aber ich glaube, Alder könnte … vielleicht ein kleines bisschen … high gewesen sein. Sie ist vor ein paar Minuten reingekommen und war schon wieder weg, bevor ich reagieren konnte. Sie ist nicht mal meine Tochter, Polly, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.«
»Gut, als Erstes rufst du sie an und sagst ihr, sie soll zusehen, dass sie heimkommt.«
»Ich weiß nicht, wo sie ist«, musste Dana verlegen zugeben, »und ein Handy hat sie nicht.«
»Sie ist sechzehn und hat kein Handy? Ist sie denn – eine Amish?«
»Ich hätte ihr eins besorgen sollen«, schimpfte Dana sich selbst. »Ich weiß gar nicht, was ich mir gedacht habe.«
»Hör auf damit! Du bist so nett, das Kind aufzunehmen, und wenn es schlecht ausgestattet ist, tja, dann ist das Sache deiner Schwester.«
»Ich weiß nicht mal, wie ihre Freundin heißt! Wie konnte ich nur so verantwortungslos sein?«
»Soll ich rüberkommen?«
Das war verlockend. Pollys Bestimmtheit war ungemein tröstlich, fast so gut wie Bratkartoffeln. Doch Dana wusste, dass sie auch eine Belastung sein konnte. »Ach Polly, das ist wirklich nett von dir – aber ich glaube, ich sollte das erst
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