Die Zufalle des Herzens
murmelte sie.
»Okay«, sagte Dana. Sie strich ihrer Tochter eine Haarsträhne von der feuchten Wange. »Hör mir mal zu, mein Schatz. Du liebst mich genauso wenig wegen meines Aussehens wie ich dich wegen deines Aussehens liebe. Wir lieben uns, weil wir es tun, und das wird nie aufhören.«
»Hoffentlich«, wisperte Morgan.
»Wir alle haben dich schrecklich lieb, Morgan, und zwar aus genau den richtigen Gründen. Nicht wegen der Jeans, die du trägst, oder weil du darin so oder so aussiehst, okay?«
»Okay.« Morgan wurden die Augen schwer, und sie legte sich in die Kissen zurück. Dana zog die Decke hoch und steckte sie fest. Sie küsste Morgan auf die Wangen und drückte ihr einen letzten Kuss auf die Stirn. »Träum was Schönes«, flüsterte sie, ehe sie das Licht ausmachte.
Sie wusste, dass sie Glück gehabt hatte, denn Morgan war müde und bereit gewesen, sich einen riesengroßen Anfall von Selbstmitleid ausreden zu lassen. Dennoch verspürte Dana eine gewisse Erleichterung darüber, dass sie dem gesellschaftlichen Zwang nach Perfektion die Stirn geboten hatte. Es würde ein langwieriges, anstrengendes Unterfangen werden, das war ihr klar. Aber dagegen anzugehen, war jedenfalls besser, als hilflos zuzusehen, wie Morgan immer mehr heruntergezogen wurde.
Auf dem Weg ins Bett machte Dana einen Umweg nach unten zum Fernsehzimmer. Alder lag mit ausdrucksloser Miene auf der Schlafcouch, die rosafarbene Fleecedecke über ihre schmale Gestalt geworfen. Ihre Finger nestelten an einem Stück Saum herum.
»Wollte dir noch gute Nacht sagen«, äußerte Dana vorsichtig von der Tür aus.
Alders Finger hielten inne. Sie bedachte ihre Tante mit einem flüchtigen, matten Lächeln. »Gute Nacht«, murmelte sie.
»Alder?«
»Ja.«
»Du schienst über den Anruf von Ethan nicht allzu glücklich zu sein.«
»Nicht besonders«, sagte Alder.
Dana wäre gerne zu ihr hingegangen, hätte sich gerne aufs Sofa gesetzt, die Decke stramm gezogen. Doch sie spürte, dass es besser war, nicht einzutreten, während sie versuchte, ihrer Nichte ein paar Auskünfte über ihr Sozialleben zu entlocken. »Ist er in einem deiner Kurse?«
»Was?«, sagte Alder und drehte den Kopf zu Dana, als bemerkte sie sie erst jetzt. »Nein, ich kenne ihn nicht von hier, sondern von … früher.«
»War er unfreundlich zu dir?«
Darüber dachte Alder einen Moment lang nach. Ihre Finger begannen von Neuem, sich mit dem Saum der Decke zu beschäftigen. »Unfreundlich«, murmelte sie.
Dana fühlte sich schwach, als sie spürte, wie tief die Trauer des Mädchens ging. So gerne wäre sie ins Zimmer getreten, aber Alders Verhalten ließ sie stocken. »Alder«, flüsterte Dana von der Türschwelle aus. »Ich bin hier, wenn du es mir erzählen möchtest.«
Alder nickte und schloss die Augen.
Am darauffolgenden Nachmittag ging Dana zu Cotters Rock Dental in der Hoffnung, dass sie Dr. Sakimoto überreden könnte, einen Teilzahlungsplan zu akzeptieren. Sie hatte keine Ahnung, wie er normalerweise vorging, aber er hatte auf sie wie ein Mann gewirkt, der willens war, Alternativen in Betracht zu ziehen. Und obwohl sie sich auch schon in Menschen getäuscht hatte, hoffte sie, diesmal richtigzuliegen.
An der Anmeldung saß jemand Neues, vornübergebeugt, den Blick aus zusammengekniffenen Augen auf irgendeine Zeitschrift gerichtet. In ihrem messingfarbenen Haar konnte Dana die grau melierten Wurzeln sehen.
»Momentchen«, sagte die Frau, ohne aufzublicken. »Was soll ich denn jetzt damit machen?«, murmelte sie vor sich hin. Als sie Dana schließlich ansah, hob sie ein in Garn verwickeltes Nadelspiel hoch. »Sieht das für Sie richtig aus?«
»Es sieht aus, wie der Anfang von irgendwas …«, bot Dana an.
Die Frau begutachtete die formlosen Schlingen. »Glauben Sie?«
Was ist das denn für eine Sprechstundenhilfe? , dachte Dana gereizt. »Äh, kommt Dr. Sakimoto später?«
»Ach, da sollten Sie noch jede Menge Zeit mitbringen.« Mit einem Grinsen wischte sich die Frau ihr sprödes Haar aus dem Gesicht. »Da hinten herrscht Chaos. Der ist einer von diesen pingeligen Typen. Ich hab lange genug als Aushilfskraft gearbeitet, um zu wissen, wann jemand anfängt, mich mit seiner Pedanterie zu nerven. Gestern ist mir klar geworden, dass ich ihn einfach alles selbst machen lassen muss. Hab mein Strickzeug mitgebracht, um mich zu beschäftigen. Wenn Sie wollen, gehen Sie ruhig nach hinten durch«, bot sie süffisant an.
Dana starrte sie fassungslos an. In all den
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