Die Zufalle des Herzens
herausfordernd.
Danas Haut kribbelte vor Aufregung – woraus würde ihr Geheimvorrat bestehen?
Alder legte Dana den Arm um die Schulter. »Das geht nur sie was an.«
Jets Handy fing an zu klingeln, und sie sah sich die Nummer des Anrufers an. »Tja, ich glaube nicht«, sagte sie zu ihm. »Oh, Scheiße …« Rascher Blick zu Dana. »Mist, ich muss los! Kommst du noch mit raus?« Sie hakte sich bei Alder unter. Zu Dana sagte sie: »Schön, Sie endlich kennengelernt zu haben.«
»Schön, dich auch endlich kennengelernt zu haben«, sagte Dana nur.
Aus der Diele hörte Dana Jets lautes Flüstern. »Siehst du, ich war gut!«
»Halt die Klappe«, murmelte Alder. »Wo bist du aufgewachsen – unter Wölfen?«
»Meine Mutter hast du ja kennengelernt!« Jet gab ein Heulen von sich, und sie lachten beide, als die Tür hinter ihnen zuschlug. Alder hatte ihr Sweatshirt auf der Küchentheke liegen lassen, und Dana brachte es ins Fernsehzimmer zurück. Hinter einem Beistelltisch, auf dem Alder ihre Hausaufgaben gestapelt hatte, lugte die Ecke eines Papiers hervor. Dana zog das Blatt heraus und erkannte Alders Handschrift.
Womöglich werde ich blind.
Blind gegenüber dem kühnen Trotz greller Farbe,
Blind gegenüber dem furchtlosen Spiel von Licht und Schatten,
Blind gegenüber der Hand, die sich danach sehnt zu erschaffen,
Abgetrennt von der Schönheit.
Aber zum Glück auch blind
gegenüber der schmutzigen Gleichartigkeit von Pinseln in einem vollgestopften Glas,
gegenüber dem zornigen Geruch der misshandelten Palette,
gegenüber der leichtfertigen Vergewaltigung der jungfräulichen Leinwand.
Ich bin mit dem Geschenk der Blindheit geschlagen.
Rasch steckte Dana es wieder zwischen den Hausaufgabenstapel, doch die Worte brodelten in ihrem Kopf weiter. Blind … die leichtfertige Vergewaltigung der jungfräulichen Leinwand … dazu die Erinnerung an Alders verstörten Blick, als sie diesen Knaben namens Ethan als unfreundlich bezeichnet hatte. Diese sorgenvollen Gedanken drängten sich ihr wieder auf, als sie sich später alle zum Abendessen hingesetzt hatten und das Telefon klingelte. Morgan sprang auf, um es zu holen.
»Bitte geh nicht ans Telefon, solange wir essen«, sagte Dana.
»Vielleicht ist es wichtig.« Morgan griff nach dem Hörer. »Ich guck nur mal, wer es ist.«
»Morgan, bitte, ich habe dich gebeten …«
»›Osgood, E.‹«, las sie. »Wer ist denn das?«
»Lass es!«, rief Alder in scharfem Ton.
Doch Morgan hatte bereits die Sprechtaste gedrückt und sagte: »Hallo?… Ja, die ist hier.« Sie reichte das Telefon Alder, deren Gesicht vor Zorn dunkelrot angelaufen war. Dana konnte sich nicht erinnern, bei ihrer Nichte jemals einen so wütenden Blick gesehen zu haben. Morgan anscheinend auch nicht. Tut mir leid! , formte sie mit den Lippen.
Nach kurzem Zögern nahm Alder den Hörer. Sie stand auf und verließ mit großen Schritten das Esszimmer. »Ethan«, blaffte sie im Hinausgehen und dann: »Nenn mich nicht so, und außerdem …« Bald war sie außer Hörweite.
»Ich hab so ein schlechtes Gewissen«, sagte Morgan mit verschämt zusammengekniffenem Gesicht.
»Sie sah aus, als ob sich ihre Haut abschälen würde, und dann wär nur noch Getriebe und Motor und so was zu sehen, und sie würde vielleicht deinen Körper durchbeißen!«, schaltete sich Grady ein.
»Halt die Klappe!« Morgan holte aus, um ihm eine zu schmieren.
Grady wich ihr aus, indem er seitlich von seinem Stuhl sprang, und landete, die Füße nach oben, auf dem Boden. »Autsch!«, brüllte er. »Mommm!«
»Schluss jetzt!«, sagte Dana. »Grady, steh bitte auf und iss fertig.«
»Aber ich …«
»Gut!«, sagte Dana, die allmählich ungehalten wurde. »Dann ab in die Badewanne.« Er flitzte aus dem Zimmer, und Dana wandte sich Morgan zu, wütender auf ihre Tochter, als sie es ihrer Erinnerung nach je gewesen war. Wie konnte Morgan so rücksichtslos sein? »Du weißt hoffentlich, dass du dich bei ihr entschuldigen musst?«, blaffte Dana.
Morgans Augen glänzten, und ihre Mundwinkel sanken nach unten. »Ich weiß es, okay?« Tränen quollen unter ihren Lidern hervor, als sie mit hämmernden Füßen davonstürzte, die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Eine Tür schlug zu. Dana stieß einen Seufzer der Entmutigung aus und ließ den Blick über den Tisch wandern, eine Landschaft, die mit den Überresten der supergesunden, halb aufgegessenen Mahlzeit besprenkelt war. Wie konnte alles nur so schnell auseinanderfallen? Wie kam es,
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