Die Zuflucht der Drachen - Roman
sich zu ihr und zeigte Kendra das Blasrohr, das in seinem Gürtel steckte. »Ich habe Betäubungspfeile und meine Tränke.«
Gavin balancierte seinen Wanderstock. »Der muss fürs Erste reichen. Am besten fahren wir sowieso, wenn wir jeder Gefahr aus dem Weg gehen. Aber im F-Fall von kleineren Scharmützeln ist es gut, bewaffnet zu sein.«
»Kleinigkeiten wie riesige Habichtbären«, meinte Kendra.
Er grinste. »Genau.«
»Mendigo«, erhob Warren seine Stimme, »kundschafte die Umgebung aus. Entferne dich nicht zu weit von uns. Mach uns auf alle etwaigen Bedrohungen aufmerksam. Lass nicht zu, dass uns irgendwelche Kreaturen überraschen. Wir wollen jedwede Begegnung vermeiden. Sollte es zu Schwierigkeiten kommen, beschütze an erster Stelle Kendra, dann uns Übrige. Wenn es wirklich brenzlig wird, steck sie in den Rucksack. Unser Hauptziel ist, Konflikten aus dem Weg zu gehen, aber wenn es zu unserem Schutz notwendig wird, kannst du auch Gewalt anwenden. Wenn du töten musst, um uns zu beschützen, tu es, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt.«
Die menschenähnliche Holzpuppe nickte ruckartig und rannte den vor ihnen liegenden Bergrücken hinunter. Mendigo bewegte sich mit einer schlaksigen, polternden Anmut. Kendra verlor ihn unter den Bäumen schon bald aus den Augen.
»Wir folgen noch eine Weile diesem Kamm«, meinte Mara, »dann kommen wir in ein bewaldetes Tal.«
»Also los geht’s«, sagte Trask und legte sich die große Armbrust über die Schulter.
Der Marsch führte sie durch allerlei Geländeformen. Sie bahnten sich ihren Weg über felsiges Geröll, durchquerten schmale Bäche, wanderten durch von Gestrüpp überwucherte Wiesen und umrundeten einen langgestreckten See. In der Nähe eines schattigen Teichs legten sie sich flach hinter einen umgestürzten Baumstamm und beobachteten, wie eine drachenähnliche Kreatur mit schwarzen Flügeln, zwei schuppigen Beinen, einem Skorpionschwanz und einem Wolfskopf literweise Wasser in sich hineinschlürfte. Sie sahen noch weitere Greife, die hoch über ihnen kreisten, aber nie näher kamen.
Bei Einbruch der Nacht suchten sie in einer engen Schlucht unter einer Felsnase Zuflucht. Mara machte ein Lagerfeuer, dann holten sie gesalzenes Rindfleisch und Gemüse aus dem Rucksack, wickelten es in Alufolie und rösteten das Ganze im Feuer. Dazu gab es getrocknete Früchte und Apfelmus. Als Nachspeise gab es Knäckebrot, Schokoladenriegel und Marshmallows, ebenfalls über dem Feuer geröstet und zu Kekssandwichs zusammengelegt. Gavin und Tanu ließen ihre Marshmallows Feuer fangen und aßen sie angekohlt, aber Kendra zog es vor, ihre geduldig zu schmoren, bis sie goldbraun waren.
Warren bot Kendra an, ein kleines Igluzelt für sie aufzustellen, aber die anderen begnügten sich damit, wasserfeste Biwaksäcke über ihre gut isolierten Schlafsäcke zu streifen, daher entschied sie sich ebenfalls für ein Biwak. Obwohl sie Mendigo die ganze Nacht als Späher das Gebiet patrouillieren ließen, beschlossen sie, zusätzlich abwechselnd Wache zu halten. Dougan schlug vor, im Rucksack zu schlafen, aber Warren wies darauf hin, dass sie in dem Lederbeutel ebenso gut in der Falle sitzen könnten und sie ihn besser nur als letzten Ausweg ansehen sollten.
Kendra übernahm die erste Wache. Sie saß neben der aufgehäuften Glut des Feuers und starrte in die Dunkelheit der Bäume um sie herum, während weiterhin gelegentlich Schneeflocken herabrieselten, die noch immer nicht liegen blieben. Sie versuchte, nicht darüber nachzugrübeln, welche Ungeheuer außerhalb ihres Gesichtsfeldes durch die Nacht streifen mochten. Hoffentlich würde Mendigo sie warnen, bevor etwas Tödliches zu nahe kam.
Mitten in ihrer Wache drang wildes Knurren an ihre Ohren und hallte durch die Schlucht. Äste knackten, und Steine kullerten. Kendra brauchte mehrere Minuten, um sich wieder zu beruhigen, nachdem sich das grimmige Gebrumme gelegt hatte. Als schließlich Dougan kam, um sie abzulösen, war es völlig windstill geworden, und sie lauschten gemeinsam auf das langsame Schlagen riesiger Flügel hoch über ihnen, das klang wie das rhythmische Klatschen einer gewaltigen Plane.
Der nächste Morgen dämmerte kalt und frostig herauf. Noch immer hingen ringsum Wolken über Wyrmroost. Sie bildeten nun aber keine undurchdringliche Decke mehr, auch hatte sich ihre bedrohliche Farbe etwas aufgehellt. Nach ihrer Wache war Kendra schneller eingeschlummert und hatte besser geschlafen, als sie erwartet hatte.
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