Die Zuflucht der Drachen - Roman
auf zu wachsen, aber der Wachstumsprozess verlangsamt sich mit den Jahren, und ich bin weit über das Alter hinaus, in dem der Effekt spürbar wird. Aber genug über mich. Du hast geweint.«
»Ich habe einen schlechten Tag«, erklärte Kendra.
»Das habe ich mitbekommen. Die Greife haben deine Freunde verschleppt.«
»Einer von ihnen war mein Bruder.«
»Seth, nicht wahr? Ich habe ein wenig gelauscht. Ich bin übrigens Raxtus.«
»Freut mich, dich kennenzulernen.« Kendra blickte an den Wänden der Schlucht empor. »Ich versuche, hier herauszukommen, aber das sieht mir ganz nach einer Sackgasse aus.«
»Ja, du bist hier eingeschlossen«, bestätigte Raxtus. »Nur geflügelte Wesen können diesen Canyon betreten. Wenn du in die andere Richtung gehst, kommst du an einen Felsabriss und stehst über einem Abhang. Unmöglich hinabzuklettern. Früher ist hier ein Wildbach durchgeflossen. Manchmal kommt das Wasser zurück, und es gibt hübsche Wasserfälle, aber meistens nimmt das Wasser jetzt einen anderen Weg.
»Ich sitze also in der Falle.«
»Du würdest in der Falle sitzen, ja, aber ich habe Flügel. Ich könnte dich tragen, kein Problem.«
»Wirklich?«
»Wohin willst du? Ihr sprecht immer sehr leise, wenn ihr über eure Pläne redet. Keine schlechte Idee eigentlich, aber schlecht fürs Lauschen.«
Der Drache machte einen netten Eindruck, und er war offensichtlich ihre einzige Hoffnung. Ob er wohl etwas dagegen haben würde, sie zum Feenschrein zu bringen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. »Es gibt hier einen Schrein der Feenkönigin«, sagte Kendra.
»Wusst ich’s doch!«, rief der Drache aus. »Du bist von Feenart, nicht wahr? Ich habe es gleich gemerkt. Na ja, ich habe zumindest geglaubt, es zu merken. Ich war mir nicht hundertprozentig sicher, aber ich hätte darauf gewettet. Ein Pech, dass ich es nicht getan habe.«
Kendra sprach normalerweise nicht offen über ihre Feenartigkeit, aber es war wohl sinnlos, sie vor Raxtus verbergen zu wollen. »Ja, ich bin von Feenart. Weißt du, wo der Schrein ist?«
Der Drache lachte leise. »Du kannst gar nicht erahnen, wie vertraut ich mit dem Schrein der Feenkönigin bin. Ich bin wahrscheinlich der einzige Drache auf der Welt, der dort hingehen kann. Ich meine nicht, in die Nähe des Schreins, ich meine, direkt zum Schrein selbst.«
»Andere Drachen können das nicht?«
»Nein. Fast niemand kann das. Die Königin würde sie töten. Ich vermute allerdings, du kannst es ebenfalls.«
»Ja. Ich meine, ich war schon einmal dort, aber nur in Fabelheim. Das ist ein anderes Reservat.«
»Ich kenne Fabelheim«, sagte Raxtus.
»Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich den Schrein hier aufsuchen kann«, fuhr Kendra fort. »Wenn die Feenkönigin mich nicht dort haben will, könnte sie mich in Löwenzahnsamen verwandeln.«
»Stimmt. Du musst vorsichtig sein. Man hängt nicht einfach zum Spaß dort am Schrein ab.«
Kendra kicherte. »Du redest nicht wie ein Drache.«
»Ich bin untypisch. Ich bin keiner der Drachen von Wyrmroost.«
»Ach nein?«
»Ich bin in Wyrmroost, aber nicht aus Wyrmroost. Ich wurde nie offiziell aufgenommen. Ich bin nicht verpflichtet hierzubleiben. Ich kann kommen und gehen. Allerdings bin ich oft in Wyrmroost, zum Teil weil mein Dad hier lebt. Aber ich reise durch die ganze Welt, meistens inkognito, du weißt schon, unsichtbar. Ich steh auf Autokinos.«
»Ich hab mal einen Drachen außerhalb von Wyrmroost gesehen«, sagte Kendra. »Und von vielen anderen habe ich gehört. Aber ich habe noch nie von einem wie dir gehört.«
»Es gibt keine anderen Drachen wie mich«, räumte Raxtus ein. »Weißt du, als ich noch in meinem Ei war, ist ein Basilisk zu uns ins Nest gekrochen. Mein Dad war nicht da, und meine Mom war getötet worden, daher gab es niemanden, der uns beschützt hätte. Drei der Eier wurden gefressen. Wären sie geschlüpft, wären das meine Geschwister gewesen. Aber bevor der Basilisk zum letzten Ei kam, sind ein paar Feen eingeschritten und haben mich gerettet. Im Übrigen erinnere ich mich an nichts von alledem; es wurde mir später erzählt. Selbst für einen Drachen in einem Ei war ich jung, als das passierte. Nach meiner Rettung haben mich die Feen zu einem der Schreine der Feenkönigin gebracht, um mich zu beschützen. Ich wurde durch Feenmagie bis zum Schlüpfen bebrütet, und dadurch wurde ich … einzigartig.«
»Du bist wunderschön«, sagte Kendra bewundernd. »Und nett.«
Der Drache stieß ein
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