Die Zuflucht der Drachen - Roman
Greife deine Freunde geschnappt haben. Ich hätte angreifen können, um sie zu retten. Ich bitte dich, es waren nur Greife! Aber es waren viele, und ich wusste, wer sie geschickt haben musste. Also beschloss ich, mich noch etwas im Hintergrund zu halten, und bevor ich es so recht begriff, war die Gelegenheit auch schon wieder verstrichen.«
»Wer hat die Greife denn geschickt?«, fragte Kendra angespannt.
»Thronis, der Himmelsriese oben auf der Sturmspitze. Er hält sich Greife, wie Menschen sich Hunde halten. Der Zwerg war Zogo. Der Zwerg des Riesen.«
»Du weißt, wo Thronis lebt?«
»Klar.«
»Da haben wir ja deine Chance auf Heldentum!«, rief Kendra. »Wir könnten meinen Bruder und die anderen retten!«
»Du hast recht, das wäre tapfer. Zu tapfer. Ich würde uns beide nur umbringen. Mit etwas Glück würde ich dabei vielleicht noch einige seiner Hauspflanzen neu aufgrünen lassen. Ich bin gerade mal ein halber Drache, Kendra. Der Rest ist Glitzer und Feenstaub. Und selbst die mutigsten Drachen halten sich von Thronis fern. Er ist sowohl Riese als auch Zauberer. Mächtige Zauber beschützen sein Bollwerk oben auf der Sturmspitze. Stimmt schon, ich sehne mich danach, ein Held zu sein, aber im Herzen bin ich ein Feigling. Willst du ein Beispiel hören? Ich bin dir den ganzen Morgen gefolgt und habe versucht, den Mut aufzubringen, Hallo zu sagen. Geschafft habe ich es erst, als du angefangen hast zu weinen.«
»Aber du könntest dich unsichtbar machen«, schlug Kendra vor. »Dich mitten in der Nacht dort hinaufschleichen.«
»Du hast die Zauber vergessen«, erwiderte Raxtus. »Thronis würde mir auf die Schliche kommen. Er würde mich erschlagen, bevor ich irgendjemandem helfen könnte. Als Freund bin ich der ideale Drache, weißt du. Als Held weniger.«
»Kannst du dich in einen Menschen verwandeln?«, fragte Kendra.
»In einen Avatar? Eine menschliche Version meiner selbst? Nicht so ganz. Ich meine, ich habe es versucht, aber es funktioniert nicht gut. Ich schaffe es nicht, wie ein Mensch auszusehen.«
»Wie siehst du denn dann aus?«
Der Drache wandte den Blick ab. »Vielleicht sollten wir das Thema wechseln.«
»Was?«
Raxtus sah sie wieder an. »Ich sehe aus wie ein Feenknabe mit Schmetterlingsflügeln.«
Kendra konnte sich ein kleines Lachen nicht verkneifen.
»Ungefähr dreißig Zentimeter groß«, fuhr Raxtus fort. »Lach ruhig. Ich weiß, wie das klingt. Glaub mir, ich weiß es nur zu gut, aber verbreite diese Geschichte bitte nicht weiter. Es ist nicht allgemein bekannt.«
»Ich war nur nicht darauf vorbereitet«, entschuldigte sich Kendra.
»Ich war auch nicht darauf vorbereitet. Jahrelang hatte ich mich mit dem Gedanken getröstet, eines Tages vielleicht in die Menschengestalt entfliehen zu können, sobald ich den Bogen raushätte, und dass ich so vielleicht Teil einer Gemeinschaft werden könnte. Aber Pech gehabt. Ich bin in jeder Gestalt eine Missgeburt. Ich bin bis ins Mark durch Feenmagie verdorben.«
»Du bist keine Missgeburt«, widersprach Kendra energisch. »Du bist der coolste Drache, dem ich je begegnet bin. Schon vom Äußeren. Du bist wie ein Sportwagen. Alle Drachen, die ich bisher gesehen oder von denen ich gehört habe, sind gemein und gnadenlos. Es ist einfach, gemein zu sein, wenn man scharfe Zähne und Klauen hat. Es wäre viel schwerer, sympathisch zu sein. Bis gerade eben wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, mir einen sympathischen Drachen vorzustellen.«
»Du bist sehr freundlich. Weißt du, wir Drachen bekommen keine Gelegenheit, in Talkshows über unsere Gefühle zu sprechen. Wir haben keine Therapeuten. Aber das Gespräch mit dir hat mir sehr geholfen. Danke fürs Zuhören. He, du hast doch erwähnt, dass du in Fabelheim warst.«
»Richtig. Ich habe dort viel Zeit verbracht.«
»Und du kannst mit Feen sprechen?«
»Ja.«
»Vielleicht bist du ja meiner Pflegemutter begegnet. Sie heißt Chiara.«
Kendras Miene hellte sich auf. »Silberne Flügel, blaues Haar?«
»Genau!«
»Sie ist die beste Fee in Fabelheim!«, schwärmte Kendra.
»Du brauchst nicht gar so dick aufzutragen«, sagte Raxtus.
»Nein, ich meine es ernst. Chiara ist echt was Besonderes. Sie hat mir geholfen. Die meisten Feen sind unzuverlässig, aber Chiara ist wirklich verlässlich und klug.«
»Sie hat mich vor dem Basilisken gerettet und mich aufgezogen. Es war nicht in Fabelheim. Das war lange vor der Gründung Fabelheims. Ich besuche sie nicht so oft, wie ich es eigentlich
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