Die Zuflucht der Drachen - Roman
verdrießliches Lachen aus. »Das höre ich oft. Ich bin der hübsche Drache. Der lustige Drache. Das Problem ist, Drachen sollen furchteinflößend und ehrfurchtgebietend sein. Nicht witzig. Der komische Drache zu sein ist etwa so, als wäre man das zahnlose Mammut. Der hübsche Drache zu sein ist etwa so, als wäre man die hässliche Fee. Kapiert?«
»Du wirst aufgezogen?«
»Ich wünschte, ich würde nur aufgezogen! Verspottet würde es eher treffen. Geschmäht. Beschimpft. Gemieden. Dass ich diesen Dad habe, macht es nur noch zehnmal schlimmer, obwohl es auch erklärt, warum ich noch am Leben bin.«
»Wer ist denn dein Dad?«
Der Drache antwortete nicht. Er schaute in den Himmel hinauf. »Ich kenne dich seit vielleicht fünf Minuten, und schon beichte ich dir meine Probleme. Lege meine ganze Lebensgeschichte offen. Warum tue ich das bloß immer? Irgendwie will ich wohl gleich zu Anfang klare Verhältnisse schaffen, damit ich später nicht verletzt werde. Aber im Endeffekt erwecke ich nur den Eindruck, ein jämmerlicher armer Kerl zu sein. Und hier bist du mit echten Problemen, und ich lenke das Gespräch immer wieder auf mich.«
»Nein, ist schon Ordnung, deine Geschichte interessiert mich. Ich will mehr über dich wissen.«
Raxtus scharrte auf dem Boden. »Ich schätze, jetzt, wo ich dich neugierig gemacht habe, muss ich auch weitererzählen. Mein Dad ist Celebrant der Gerechte. Er ist mehr oder weniger der König der Drachen. Der größte, der stärkste, der beste. Und ich bin seine größte Enttäuschung. Raxtus, der Feendrache.«
Kendra wollte ihn umarmen, dachte jedoch, dass ihn das in seinem Selbstbewusstsein nur noch weiter kränken könnte. »Ich bin mir sicher, dein Dad ist stolz auf dich«, sagte sie stattdessen. »Ich wette, das meiste von alldem bildest du dir nur ein.«
»Ich wünschte, du hättest recht«, erwiderte Raxtus. »Aber es ist keine Einbildung. Celebrant hat mich praktisch verstoßen. Ich habe noch zwei Brüder. Halbbrüder. Sie stammen natürlich aus einem anderen Gelege, klar. Jeder von ihnen herrscht über eins der beiden anderen verbotenen Sanktuarien. Ich sehe meinem Dad viel ähnlicher als sie beide – ich meine, was Gestalt und Farbe betrifft. Ich bin die Miniaturversion von Celebrant. Er hat so glänzende Platinschuppen, meinen ganz ähnlich, aber härter als Adamant. An ihm sehen sie umwerfend aus. Er ist stämmiger gebaut als ich, besteht nur aus Muskeln. Er verfügt über fünf verschiedene Atemwaffen und kennt tonnenweise Angriffszauber, aber er ist kein Schlägertyp. Er hat einen rasiermesserscharfen Verstand. Er hat einfach alles. Würde. Majestät.«
»Er kann dich nicht einfach nur deshalb verachten, weil du klein bist!«, beteuerte Kendra.
»Mein Kleinsein ist noch lange nicht alles. Rate mal, was meine Atemwaffe bewirkt. Sie hilft Dingen zu wachsen! Weißt du, sie lässt Blumen blühen. Und die einzige Magie, die ich wirken kann, sind defensive Sachen, wie mich zu verstecken oder zu heilen. Wieder etwas Feentypisches. Dass ich meinem Dad so ähnlich sehe, macht die Sache nicht besser. Ich weiß, dass es ihn mit Scham erfüllt. Er hat mich aber wenigstens nicht ganz verstoßen. Irgendwo tief im Innern fühlt er sich schuldig, weil meine Geschwister getötet wurden und er nicht da war, um uns vor dem Basilisken zu beschützen. Und weil er erst Jahre später erfahren hat, dass ich überlebt habe. Deswegen stehe ich nach wie vor unter seinem Schutz, was bedeutet, dass die anderen Drachen mich zwar noch so sehr meiden mögen, dass aber keiner scharf darauf ist, mit mir zu kämpfen. Kein Drache auf Erden hat Lust, sich womöglich den Zorn von Celebrant einzuhandeln.«
»Na siehst du! Er liebt dich.«
»Nein. Schuldgefühle sind keine Liebe. Dad hat klargestellt, dass er mich nicht in seiner Nähe will. Und recht hat er. Meine Gegenwart schadet seinem Ansehen: der entwürdigende Gegensatz zwischen dem prächtigsten Drachen der Welt und seinem absurden Narren von Sohn.«
Kendra fiel keine Erwiderung ein. Erneut widerstand sie dem Drang, ihn zu umarmen.
»Wie dem auch sei, jetzt kennst du meine traurige Vergangenheit. Die ganze Lebensbeichte. Ich will nicht schwach und nutzlos sein, und ich bin schon gar nicht stolz darauf. Ich liebe Actionfilme. Mein größter Traum ist es, ein Held zu sein. Grimmig und tapfer zu sein, mich irgendwie als echter Drache zu beweisen. Aber wenn sich mal die Gelegenheit ergibt, schrecke ich zurück. So wie in dem Moment, als sich die
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