Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zuflucht der Drachen - Roman

Die Zuflucht der Drachen - Roman

Titel: Die Zuflucht der Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penhaligon Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
mitgebracht, um mich zu piksen.«
    Gemeinsam erhoben sich Kendra und Seth wieder und jagten dem zurückweichenden Schwanz hinterher.
    Silettas Vorderteil schob sich hinter eine dicke Säule und verschwand.
    Die beiden vergaßen alle Gefahr und nahmen die Verfolgung auf. Sie erreichten gerade rechtzeitig die Säule, um zu sehen, wie Siletta auf der anderen Seite hinaufkletterte. Kopf und Vorderbeine hatten bereits das obere Ende erreicht und begannen, über die Decke zu kriechen. Mit emporgerecktem Horn sprangen sie hoch und erwischten eben noch das Ende von Silettas Schwanz. Der Schwanz erstarrte, und Kendra hörte ein schmatzendes Geräusch. Als sie aufschaute, sah sie gespreizte Füße von der Wand gleiten – der Drache begann zu fallen! Kendra zog das Horn vom Schwanz weg und riss Seth zur Seite. Hastig brachten sie sich in Sicherheit, während Siletta mit einem ohrenbetäubenden Klatschen auf den Boden krachte. Als sie wieder aus ihrer Deckung hinter der nächsten Säule hervorkamen, sahen sie den Drachen in wilden Zuckungen um sich schlagen. Sie stürzten sich auf Silettas Hinterleib und rammten ihr das Horn in den schleimigen Körper.
    Das Zucken hörte auf. Siletta lag ganz still, und das Horn in Kendras Hand wurde plötzlich heiß. Der Drache begann zu vibrieren, und das Horn glühte, aber sie ließen nicht locker. Kendras Beine wurden schwach, und ihr Kopf begann sich zu drehen. Die schwarzen Adern unter der durchschimmernden Haut des Drachen wuchsen und breiteten sich zu tintenkleksartigen Wolken aus. Die seltsam geformten Organe schienen sich aufzulösen und verschmolzen miteinander. Silettas Inneres begann zu kochen, ihre Haut platzte, und dunkelblauviolette, stinkende Wolken stiegen auf.
    Kendra legte sich die freie Hand über den Mund und drückte das Horn noch fester gegen den Drachen. Siletta begann nun zu schrumpfen und in sich zusammenzufallen, und die beiden mussten immer näher an sie heranrücken, damit das Horn in direktem Kontakt blieb. Einige Augenblicke lag nur noch eine trockene, verschrumpelte Hülle vor ihnen, die nicht einmal mehr ein Zehntel der ursprünglichen Größe des Drachen hatte. Nachdem sie noch eine schier endlose Minute lang gewartet hatten und Siletta vertrocknet und reglos geblieben war, ohne weitere Dünste zu verströmen, sagte Seth: »Ich glaube, wir haben es geschafft.«
    Ohne die Hände von dem Horn zu nehmen, traten sie zurück. Die groteske Drachenhülse rührte sich nicht. Kendra blickte über die Schulter. In einiger Entfernung bedeckte eine Lache schwarzer Flüssigkeit den Boden, aber Mendigo war nirgends zu entdecken.
    »Wo ist unsere Marionette?«, sprach Seth ihre Gedanken aus.
    Kendra ging zu der schwarzen Lache hinüber und tauchte die Spitze des Horns in die abscheuliche Flüssigkeit. Die teerähnliche Pfütze verwandelte sich brodelnd und rauchend zu Dunst. Auf dem nackten Boden blieben das Schwert, eine Taschenlampe und zahlreiche kleine goldene Haken liegen.
    »Das gibt’s doch nicht«, rief Seth. »Er ist weg!«
    Kendra nahm das Beweismaterial in Augenschein. »Der schwarze Schleim muss das Holz aufgelöst haben.«
    Seth hob einen Haken auf und untersuchte ihn eingehend. »Nicht einmal ein Splitter ist übrig geblieben.« Tränen schimmerten in seinen Augen. »Das verdirbt mir irgendwie den Spaß an der ganzen Sache. Glaubst du, er lässt sich wiederherstellen?«
    »Wenn nur die Haken übrig sind? Zumindest sollten wir sie sicherheitshalber einsammeln.«
    Ohne Kendra und das Horn loszulassen, kroch Seth durch den Raum und hob sorgfältig jeden Haken und jede Öse auf, die er finden konnte. Kendra half ihm dabei. Sie nahm sich fest vor, nicht zu weinen, und schärfte sich ein, dass Mendigo kein Mensch gewesen war. Die Marionette hatte keine Identität, keinen eigenen Willen. Sie war nur ein Werkzeug gewesen. Ein vernunftloser Roboter aus Holz. Als Mendigo noch in Muriels Diensten war, hatte er Kendra und ihre Familie in ernste Gefahr gebracht. Aber dann hatten die Feen dafür gesorgt, dass er fortan Kendras Familie treu ergeben war, und seither hatte er Kendra mehrere Male das Leben gerettet. Und jetzt war er beim Versuch, sie zu beschützen, zerstört worden. Er mochte nur ein mechanischer Diener gewesen sein, aber er war verlässlich und treu gewesen. Ohne ihn waren sie und ihr Bruder weit weniger sicher. Kendra ertappte sich dabei, wie sie sich etwas Feuchtes von den Wangen wischte.
    »Kendra!«, dröhnte eine Stimme von draußen. »Seth? Alles in

Weitere Kostenlose Bücher