Die Zuflucht der Drachen - Roman
ihn ganz deutlich.
Tanu trat neben Seth. »Wo ist er?«
Warren wich zurück und schwang blind sein langes Messer.
Mühelos wich der Goblin den verzweifelten Hieben aus und schlitzte Warren quer über die Brust.
Warren machte einen Satz nach vorn, aber der Goblin entging dem Messerstoß und nutzte Warrens Schwung, um ihn zu Boden zu schleudern.
»Dort«, deutete Seth, und Tanu presste kraftvoll die Luft aus den Lungen.
Der Goblin hielt inne und starrte auf den kleinen, gefiederten Pfeil, der aus seinem Handgelenk ragte. Er taumelte, schwankte, fing sich kurz wieder und brach dann zusammen.
»Ist das Vanessas Blasrohr?«, fragte Seth.
»Ja«, bestätigte Tanu. »Ich habe die Schlaftrunk-Dosis auf den Pfeilspitzen erhöht, sodass sie fast tödlich ist.«
Seth deutete auf den auf dem Boden liegenden Goblin. »Kannst du ihn jetzt sehen?«
»Nein.«
Warren erhob sich taumelnd und betastete den blutigen Streifen, der sich quer über seine Brust zog.
»Tief?«, fragte Tanu.
»Ich trage Schutzkleidung aus Leder unter meinem Hemd«, antwortete Warren. »Das Monster hat mir trotzdem einen hübschen Kratzer verpasst. Ich halte meine Messer immer scharf.« Warren bückte sich und hob sein Wurfmesser vom Boden auf, als ein bösartiges Knurren aus dem Flur drang.
Tanu warf Seth einen Trank zu. Er zog zwei weitere Tränke hervor und lief ins angrenzende Zimmer. »Macht euch gasförmig!«, wies er Oma und Kendra an.
Seth hatte einen solchen Trank, der ihn in eine neblige Version seiner selbst verwandelte, im Sommer schon einmal benutzt. Er wusste, dass ihm in gasförmigem Zustand keine Macht der Welt etwas anhaben konnte, aber leider würde er auch Warren und Tanu nicht mehr helfen können. Statt also den Trank zu schlucken, kniete er sich neben den Goblin. Was machte diese Kreatur für die anderen unsichtbar? Seth vermutete, dass es irgendeine Art von magischem Gegenstand sein musste, so etwas wie Coulters Handschuh.
Der Goblin trug schlichte Kleider: ein schwarzes Seidenhemd, weite schwarze Shorts und Sandalen. In seinem Gürtel steckten zwei lange, scharfe Stricknadeln und ein Würgedraht. Ein auffälliges silbernes Armband schmückte einen seiner sehnigen Unterarme.
Seth riss das Armband herunter und streifte es über. Der Goblin blieb sichtbar, ebenso wie sein eigener Körper. Als Seth einmal Coulters magischen Handschuh getragen hatte, war sein Körper durchsichtig geworden, solange er sich nicht bewegte, selbst für seine eigenen Augen. Aber irgendwie hatten seine Augen die Täuschung des Goblins durchschaut, und Seth konnte nicht erkennen, ob er sich nun unsichtbar gemacht oder lediglich einen Diebstahl begangen hatte.
Warren und Tanu waren auf den Flur gestürzt, und Seth hörte weiteres Knurren. Er rannte hinaus und starrte auf die Szene, die sich ihm auf dem Flur bot: Tanu und Warren standen dort einem riesigen grauen Wolf gegenüber. Die Bestie war fast so groß wie ein Pferd und hatte bereits drei gefiederte Pfeile in seinem Fell, außerdem Warrens Wurfmesser. Immer wieder schnappte der grimmige Wolf nach Warren, der das Tier nur mit knapper Not in Schach hielt, indem er sich Stück für Stück zurückzog und mit seinem langen Messer nach der Schnauze der Kreatur hieb. Tanu feuerte einen weiteren Pfeil aus dem Blasrohr ab, dann warf er die Waffe weg und wühlte in seinem Tränkebeutel.
Oma kam aus ihrem Zimmer geplatzt, die Armbrust in einer Hand, den Trank, den Tanu ihr gegeben hatte, in der anderen.
Seth grinste – anscheinend war er nicht der Einzige, der nicht bereit war, sich in einen gasförmigen Zustand zu versetzen und das Geschehen einfach an sich vorüberziehen zu lassen.
Oma starrte direkt durch Seth hindurch auf den Kampf mit dem Wolf, dann hob sie ihre Waffen und zielte sorgfältig.
Seth sprang zur Seite, da explodierte in einem Schauer scharfkantiger Scherben das Fenster am anderen Ende des Flurs, und eine muskelbepackte geflügelte Kreatur kam hindurchgesprungen.
Oma wirbelte herum. Der gehörnte Gargyl blutete aus mindestens einem Dutzend Schnittwunden, rappelte sich hoch und jagte den Flur hinunter, einen Dreizack in der Hand, die Flügel angelegt. Oma zielte und ließ den Bolzen fliegen. Das Projektil verschwand im Kopf des Monsters, und der Gargyl torkelte rückwärts. Dann fiel er nach hinten um, als wäre er mit dem Schädel gegen einen unsichtbaren Balken geprallt.
Als Seth sich umdrehte, sah er, wie der Wolf vor Warrens Messer zurückwich, die Beine zitternd, die Schnauze
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