Die Zuflucht der Drachen - Roman
Deshalb habe ich mich schließlich dafür entschieden, diese atemberaubende Vision meiner Muse zu zeichnen und einfach in ihrer Schönheit zu schwelgen. Wie könnte ich meiner Zuneigung auch besser Ausdruck verleihen? Wärst du so freundlich, es ihr zu überbringen?«
»Kein Problem«, antwortete Seth grinsend.
»Ich erröte bei der Vorstellung, wie sie mein Werk betrachtet«, gestand Verl und hielt Seth die Leinwand hin.
»Wir auch«, kommentierte Newel.
»Sie wird es ganz wunderbar finden«, erklärte Seth und wollte das Bild in Empfang nehmen, doch Verl ließ nicht los.
»Bist du dir auch sicher, Verl?«, zog Doren ihn auf. »Ziemlich kitschig geraten. Stan wird das gar nicht gefallen.«
Verl ließ das Bild los. »Ja, ich bin mir sicher. Überbringe es Kendra mit meinen hochachtungsvollsten Grüßen.«
Komm zu mir, Seth.
Es war ein Rumoren, das sich zu Worten formte. Seth spürte es eher, als dass er es hörte. Er starrte Newel und Doren an. »Habt ihr das gehört?«
»Was?«, fragte Doren. »Dass Verl eben dafür gesorgt hat, sich garantiert zu blamieren? Laut und deutlich!«
»Die Stimme, die meinen Namen gerufen hat«, sagte Seth.
Besuch mich heute Nacht. Wir haben nur wenig Zeit. Die Stimme klang wie ferner Donner.
»Nichts gehört?«, fragte Seth.
Die Satyre schüttelten den Kopf.
Das Rumoren verhallte.
Newel knuffte Seth in den Arm. »Alles in Ordnung mit dir, Kumpel?«
Seth zwang sich zu einem Lächeln. »Keine Sorge, mir geht’s bestens. Ich höre nur in letzter Zeit immer wieder so komisches Zeug. Vielleicht sollte ich in den Garten zurückgehen.« Er ließ sich aus der Hängematte gleiten.
»Behalte den Brustpanzer«, sagte Newel. »Vergiss nur nicht, dass du uns etwas schuldest, nämlich …«
»… einhundertzwanzig Batterien der Größe C«, beendete Seth den Satz.
Vier Zentauren warteten stoisch an der Grenze ihres Herrschaftsgebiets, die muskulösen Oberkörper nackt bis auf die Wolfsfelle, die sie sich über die mächtigen Schultern geworfen hatten. Kendra kannte zwei von ihnen. Der silberne, der einen riesigen Bogen bei sich trug, war Wolkenschwinge. Der andere war Sturmbraue. Letzten Sommer war er von der Schattenplage befallen gewesen, doch jetzt war sein Fell wieder weiß mit grauen Sprenkeln. Er hatte eine hohe Stirn und langes, glattes Haar. Einer der beiden Zentauren, die Kendra noch nicht kannte, hatte goldene Haut und war nicht so übertrieben muskelbepackt wie die anderen. Der vierte Zentaur hatte haselnussbraunes Fell und gelocktes, rotbraunes Haar.
Hugo blieb mit dem Karren vor den Zentauren stehen. Opa hatte bereits erklärt, dass Hugo ihr Reich nicht würde betreten können.
»Sei mir gegrüßt, Stan Sørensen«, verkündete Wolkenschwinge in einem klaren, melodischen Bariton.
»Guten Tag, Wolkenschwinge«, erwiderte Opa. »Sturmbraue. Schnellschritt. Blutdorn. Ich gehe davon aus, dass ihr meine Nachricht erhalten habt.«
»Gestern hat uns der Golem die Kunde von deinem Kommen überbracht«, gab Wolkenschwinge zurück. »Du hast viele Begleiter bei dir.«
»Wir müssen uns mit Graumähne beraten«, erklärte Opa.
Wolkenschwinge neigte den Kopf. »Das ist einmal im Jahr dein gutes Recht.«
»Du hast das Mädchen bei dir«, sagte Sturmbraue anklagend. Seine Stimme war tief und rau.
»Sie begleitet uns, um ihre Wertschätzung für Breithufs nobles Opfer zum Ausdruck zu bringen«, erläuterte Opa.
»Wir brauchen ihre Dankbarkeit nicht«, knirschte Sturmbraue.
»Nichtsdestoweniger sind wir hier«, erwiderte Opa und kletterte aus dem Wagen.
»Bleibt im Wagen«, befahl Wolkenschwinge. »Wir werden euch von hier an ziehen.«
Der goldene und der rötlich braune Zentaur traten vor und nahmen Hugos Platz vor dem Wagen ein. Opa hatte prophezeit, dass die Zentauren von selbst ihre Dienste anbieten würden, um die Dauer des unliebsamen Besuchs abzukürzen.
Sie befanden sich am fernen Ende des Sumpflands von Fabelheim. Hinter ihnen hing Dunst über dem fauligen, nicht zugefrorenen Wasser, wo trotz des Winters Moos und hohe Schilfgräser am Ufer wuchsen.
Ohne weitere Worte galoppierten die Zentauren los. Kendra ging im Geiste noch einmal die Anweisungen durch, die Opa ihr gegeben hatte. Sofern es nicht während eines Gesprächs geschah, betrachteten Zentauren jeden Blickkontakt als Provokation, und Opa hatte ihr aufgetragen zu schweigen, es sei denn, er erteilte ihr bei bestimmten Gelegenheiten das Wort. Sie alle hatten Anweisung, Beleidigungen mit freundlicher
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