Die Zuflucht der Drachen - Roman
Sphinx war schon dabei, sich das dritte Artefakt zu holen, während Seths Freunde und Verwandte sich hilflos an irgendwelche Strohhalme klammerten. Irgendjemand musste einen energischen Schritt tun. Seth biss die Zähne zusammen. Wenn alle Hoffnung dahin war, war es dann nicht seine Aufgabe, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen? Natürlich war es das.
Er rollte sich aus dem Bett, schnallte den Adamantharnisch um, zog die Riemen fest und streifte zur Tarnung ein Hemd darüber. Er schlüpfte in seine Jeans, schnürte die Stiefel und schnappte sich Winterjacke, Handschuhe und Mütze. Schließlich holte er seine Notfallausrüstung unter dem Bett hervor. Sie enthielt allerlei Krimskrams, der sich als nützlich erweisen konnte, wenn man allein im Wald auf Abenteuerreise war. Neben der Standardausrüstung – unter anderem bestehend aus einer Taschenlampe, einem Kompass, einem Taschenmesser, einem Vergrößerungsglas, einer Trillerpfeife, einem Spiegel und verschiedenen Snacks – hatte Seth auch den gasförmig machenden Trank aus dem Hotel behalten. Im allgemeinen Aufruhr hatte Tanu vergessen, ihn zurückzuverlangen.
Seth stopfte sein Kissen unter die Decke, dann schlich er zur Tür und die Treppe hinunter. Aufmerksam lauschte er, ob Kendra sich regte oder vielleicht jemand anderes im Haus noch auf den Beinen war. Doch alles blieb still. Er ging leise zur Garage hinüber, nahm ein Mountainbike und schob es nach draußen. Er wünschte, er hätte stattdessen eins der Quads ausleihen können, aber er befürchtete, dass der Lärm jemanden wecken könnte und sein nächtlicher Ausflug beendet wäre, noch bevor er überhaupt begonnen hatte. Irgendwo in der Dunkelheit wachten Hugo und Mendigo über den Garten. Seth hoffte, dass es ihm gelingen würde, leise an ihnen vorbeizuschlüpfen. Hoffentlich hatten sie keine Anweisung, ihn vom Wald fernzuhalten.
Die Temperatur lag weit unter dem Gefrierpunkt. Unsichtbare Wolken verschluckten alles Licht am Himmel. Ein paar sanft leuchtende Feen tanzten zwischen den Blumen im Garten auf und ab, ansonsten war es stockdunkel. Seth stieg auf das Fahrrad und stellte schnell fest, dass schwere Stiefel nur bedingt zum Fahrradfahren geeignet waren. Als er ein wenig Schwung geholt hatte, wurde die Sache etwas leichter.
Er kannte den Weg zu der Höhle, in der Graulas lebte. Soweit Seth gesehen hatte, hatte Hugo die Hauptwege durch Fabelheim relativ schneefrei gehalten. Hoffentlich galt das auch für den Weg zur Höhle. Anderenfalls würde er das Fahrrad vielleicht stehen lassen und zu Fuß gehen müssen.
Seth radelte über den Rasen auf den Pfad zu, den er einschlagen wollte. Im letzten Moment entdeckte er in der Dunkelheit direkt vor ihm ein Blumenbeet mit ein paar Rosenbüschen und musste heftig bremsen. Er beschloss zu schieben, bis er weit genug vom Haus entfernt war, um seine Taschenlampe benutzen zu können.
Gerade als er aus dem Garten auf den Pfad trat, packte ihn eine riesige Hand an der Schulter und hob ihn in die Luft. Das Mountainbike fiel klappernd zu Boden. Seth schrie vor Entsetzen auf, da erst begriff er, dass er von Hugo erwischt worden war.
»Spät«, brummelte der Golem.
»Lass mich runter«, verlangte Seth mit zappelnden Beinen. »Du hättest mich fast zu Tode erschreckt!«
Hugo stellte Seth wieder ab.
»Ins Bett gehen«, sagte Hugo und deutete auf das Haus.
»Hast du Befehl, mich zurückzuschicken?«, fragte Seth und schob eine Hand in seine Notfallausrüstung.
»Bewachen«, sagte Hugo.
»Richtig. Sie haben dir aufgetragen, den Garten zu bewachen. Aber nicht, meinen Babysitter zu spielen.«
»Wald schlecht. Seth allein.«
»Willst du mitkommen?«, versuchte es Seth, während er mit zitternden Fingern das Fläschchen mit Tanus Trank hervorkramte.
»Bewachen«, wiederholte Hugo energischer.
»Ich kapier schon. Du hast deine Befehle. Aber ich habe meine. Ich muss etwas ganz Wichtiges erledigen.«
»Stan wütend.«
»Du meinst, Opa würde nicht wollen, dass ich weglaufe? Natürlich nicht. Er denkt, dass ich immer noch Windeln trage. Eben deshalb muss ich mich mitten in der Nacht davonstehlen. Du musst mir vertrauen, Hugo. Ich weiß, ich habe in der Vergangenheit ein paar Dummheiten angestellt, aber ich habe auch schon mal die Dinge wieder geradegebogen. Ich muss mich nur mal kurz in den Wald schleichen. Nicht aus idiotischen Gründen, wie etwa um Gold zu holen. Im Grunde versuche ich, die Welt zu retten.«
Der Golem stand einen Moment lang schweigend da. »Nicht
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