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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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jede andere menschliche Siedlung einfach überrennen könnten. Es waren mindestens tausend. Zahllose Feuerstellen erhellten die Nacht. Dafür hatten sie also das gestohlene Scheit aus unserem Lager gebraucht. Sie hatten keine Angst, dass der Rauch sie verraten könnte, denn wer sollte ihnen etwas anhaben?
    Pirscher packte mich am Arm und zog mich ins hohe Gras, obwohl sie uns aus dieser Entfernung unmöglich wittern oder hören konnten.
    War das kleine Dorf im Wald so etwas wie ein Vorposten, von dem aus sie uns im Auge behielten? Ich war nicht sicher, aber der bloße Gedanke jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Es war beängstigend, wie ähnlich sie uns geworden waren. Vielleicht war ein Initiationsritus der Grund, weshalb sie Frank und Bleich geholt hatten. Einen Menschen zu entführen war möglicherweise das Freak-Äquivalent zu unserer Namensgebungszeremonie. Wahrscheinlich würde ich es nie erfahren, denn ich konnte sie ja schlecht fragen, aber es erschien mir beängstigend logisch.
    Vielleicht hatte das Dorf aber auch gar nichts mit dieser gigantischen Siedlung zu tun. Immerhin hatten Bleichs Entführer das Dorf im Wald umgangen. So wie wir Menschen uns in verschiedenen Gruppen zusammenschlossen, gab es vielleicht auch verschiedene Freak-Sippen. Aber was auch immer der Grund war, es spielte keine Rolle.
    Â» Bleich ist dort«, wisperte ich. Ich spürte es tief in meinem Innern.
    Das ist nicht zu schaffen .
    Pirscher und ich waren hervorragende Kämpfer. Mit einem kleinen Trupp konnten wir es aufnehmen, aber Miles ’ Verrat hatte uns zu viel Zeit gekostet, Pirscher war verletzt, und die Entführer hatten sich wieder der Horde angeschlossen. Da ich in den Tunneln aufgewachsen war, konnte ich auch im Dunkeln sehr gut sehen, doch im Moment bot das nicht den geringsten Trost.
    So viele Freaks .
    Wir mussten nicht nur Frank und Bleich retten– wir mussten die anderen warnen.
    Â» Es ist deine Entscheidung«, flüsterte Pirscher.
    Ich überlegte, Sekunden fühlten sich an wie Stunden, und die vielen unvorhersehbaren Möglichkeiten erdrückten mich. Egal. Ich war geboren, um das Unmögliche zu schaffen.
    Â» Du bleibst hier«, sagte ich schließlich. » Mit deinem verletzten Knie kannst du nicht rennen, wenn es Probleme gibt… Falls ich nicht zurückkomme, musst du dich allein zum Vorposten durchschlagen und Draufgänger berichten, was wir hier entdeckt haben.«
    Er ballte die Hände zu Fäusten. » Bitte mich nicht, dich im Stich zu lassen, Taube. Du kannst alles von mir verlangen, aber nicht das.«
    Vielleicht war dies das letzte Mal, dass wir einander sahen. Ich berührte sein Gesicht, fuhr über die roten Narben, und Pirscher ließ es zu, wie er es immer tat, obwohl er der Meinung war, es sehe aus wie ein Zeichen von Schwäche.
    Â» Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis ich Bleich gefunden habe. Warte bis kurz vor Einbruch der Dämmerung auf mich. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, geh allein. Falls es schon vorher zu gefährlich wird, dann flieh. Pass auf dich auf und vor allem, warne Draufgänger, was sich hier zusammenbraut. Es könnte die letzte Gelegenheit sein.«
    Ich hatte ihn noch nie so verzweifelt gesehen. Die Narben in seinem Gesicht spannten sich wie Bogensehnen. » Wenn du willst, dass ich dich allein gehen lasse, wirst du mich zum Abschied küssen müssen.«
    Â» In Ordnung.«
    Einmal hatte er mich einfach gepackt und geküsst. Dies war das erste Mal, dass es auch von meiner Seite aus freiwillig geschah, und es fühlte sich vollkommen anders an– vielleicht gerade deshalb, weil es meine eigene Entscheidung war. Seine Lippen waren warm und weich, und die Berührung hallte lange in mir nach.
    Verwirrt machte ich mich los, und Pirscher blickte mich an. Er lächelte nicht. Seine Augen sagten mir, dass ich diesen Vorstoß mitten hinein in die Freak-Siedlung nicht überleben würde. Ich wusste, meine Chancen standen nicht gerade gut. Mich einfach so in das Dorf zu schleichen war reiner Selbstmord, und ich hatte nicht vor, mein Leben jetzt schon zu beenden. Flüsternd erklärte ich Pirscher, was ich vorhatte, und schließlich nickte er. » So könnte es gehen.«
    Ich musste nur noch die nötigen Vorbereitungen treffen.
    Es war eine mondlose Nacht, aber ich fürchtete die Dunkelheit nicht. Es war diese Freak-Siedlung, die mir

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