Die Zuflucht
der gigantischen Kolonie erreicht. Ich duckte mich und starrte ungläubig in die Richtung, aus der das Jammern kam. Nur Bälger weinten so haltlos, so wie der blinde Junge aus Nassau, als die anderen Jäger ihn in der Enklave davonschleppten. Dann sah ich es. Sie hielten sie in einem Pferch.
In Erlösung gab es Ställe für die Tiere, wir tranken ihre Milch, aÃen ihre Eier und manchmal auch ihr Fleisch. Hier hatten die Freaks einen Zaun aus angespitzten Holzpfählen errichtetâ ganz ähnlich denen, auf die sie die Köpfe gespieÃt hattenâ, und dahinter sah ich Menschen, die an Leinen gefesselt waren wie Hunde. Nacktes Entsetzen packte mich.
Sie wollen uns zähmen .
Das musste eine neue Entwicklung sein. Hätte Draufgänger auf seinen Handelsreisen davon Wind bekommen, hätte er umgehend Stadtvorsteher Bigwater informiert. Ãberall in der Stadt hätten sie von nichts anderem mehr gesprochen. Aber das war nicht der Fall. Eine seltsame Gnade, es als Erste zu erfahren.
Trotzdem durfte ich mich nicht lähmen lassen von meiner Angst, denn ich hatte eine Aufgabe zu erledigen. Falls Bleich hier war und noch am Leben, dann in diesem Pferch, also schlich ich weiter und kletterte über den Zaun.
Die meisten der Gefangenen sahen aus, als wären sie halb wahnsinnig vor Angst. Nur eine Frau weinte unaufhörlich, und es schien, als wären die Freaks an das Geräusch gewöhnt. Gut so, denn der Lärm, den sie machte, übertönte meine Schritte. Ich ging zwischen ihnen umher, schaute in jedes Gesicht, und mit jedem, das ich nicht kannte, verblasste meine Hoffnung ein Stück mehr.
Ich rüttelte sie wach, und sie zuckten wegen meines Geruchs zurück. In der Dunkelheit mochten sie mich für einen Freak halten, der mitten in der Nacht Hunger bekommen hatte. Ich nahm ihre kraftlosen Schläge und das panische Gezappel hin und schnitt sie los. Mehr konnte ich nicht tun. Ob sie blieben oder flohen, war ihre Entscheidung.
» Seid still«, war das Einzige, was ich ihnen zuflüsterte, und manche krochen sofort davon. Andere starrten mich nur an wie eine Erscheinung.
So verzweifelt ich auch suchte, ich entdeckte keine Spur von Frank. Ich konnte mir nicht vorstellen, seiner Schwester je wieder in die Augen zu sehen, wenn ich ohne ihn zurückkehrte, aber er war nicht hier.
Vielleicht haben sie ihn schon gefressen, und Bleich auch.
Nein. Ich suchte weiter, schneller jetzt, und endlich fand ich meinen Mann, bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Seine Augen waren zugeschwollen, das ganze Gesicht aufgedunsen, und unter den aufgeplatzten Lippen blitzen seine Zähne hervor. Wirklich sicher sein konnte ich erst, als ich ihn herumdrehte und die Striemen auf seinem Rücken sah. Er stöhnte, und ich presste ihm eine Hand auf den Mund.
Bleich wehrte sich wie ein Tier. So geschwächt er auch war, hatte er immer noch genug Kraft, mich von sich zu stoÃen.
Ich schlug hart auf den Rücken und bekam für einen Moment keine Luft. Die anderen, die bereits flohen, hatten die ersten Freaks aufgeweckt. Wenn ich noch lange zögerte, würden sie uns erwischen.
» Bleich, ich bin es, Zwei.« Ich wich seinen Schlägen und Tritten aus, durchschnitt seine Fesseln und massierte seine Beine. » Kannst du rennen?«
Bitte, sag ja. Ich kann dich nicht tragen.
Natürlich würde ich es versuchen, und wir würden beide dabei getötet werden. Ich wollte hier nicht sterben. Natürlich wäre es ein ruhmreicher Tod für eine Jägerin. Ich könnte so viele mitnehmen wie möglich, bevor sie mich überwältigten, aber das Mädchen in mir wollte nur noch rennen und überleben.
» Zwei�« Er war zu benommen, es ging alles viel zu langsam.
Das Knurren auÃerhalb des Pferchs wurde lauter; immer mehr Ungeheuer erwachten aus dem Schlaf, und ich hörte die Schreie der Fliehenden. Ich hatte ihnen eine Chance geben wollen zu entkommen. Dass sie als menschliche Köder meine Flucht deckten, war nicht meine Absicht gewesen, aber jetzt war es zu spät für Gewissensbisse. Ich hätte es so oder so nicht über mich gebracht, sie hierzulassen und Bleich als Einzigen zu befreien.
Die Zeit lief uns davon. Wenn wir überleben wollten, mussten wir los, und zwar jetzt. Und wir mussten uns geschickter anstellen als die anderen, die in wilder Panik flohen.
» Lauf!«, bettelte ich. » Kämpfe nicht und bleib nicht stehen.
Weitere Kostenlose Bücher