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Die Zuflucht

Die Zuflucht

Titel: Die Zuflucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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auch nur das kleinste bisschen zu viel. Und dieses zusätzliche Gewicht war für mich wie ein Wunder: Ein Mensch konnte tatsächlich genug Fleisch ansetzen, dass er einen harten Winter überstehen würde.
    Edmund setzte sich zu uns, und Oma Oaks nahm meine Hand, wie sie es jeden Abend tat. » O Schöpfer, segne und beschütze uns. Lass uns deine Gesetze ehren und deines Segens würdig sein.«
    Beim ersten Mal hatte ich sie noch gefragt, mit wem sie da redete, und sie erklärte mir, es handle sich um ein Wesen, das irgendwo im Himmel lebte und über uns wachte. Ich wollte sie nicht verletzen, deshalb erwiderte ich nichts. Meiner Meinung nach war ihr Gott ein lausiger Beschützer. So wie die Welt aussah, schien er die Freaks uns Menschen vorzuziehen.
    Während wir aßen, lobte ich das gebratene Fleisch, das frische Brot und das Gemüse, und irgendwann fragte ich, warum ihr Sohn die beiden nicht besuchen kam.
    Edmund und Oma Oaks erstarrten. Ihre Gesichter verrieten mir, dass sie eine andere Vorstellung von einem höflichen Gespräch beim Abendessen hatten. Schmerz zeichnete sich in ihren Augen ab, und Oma Oaks senkte den Blick. Sie schien nicht in der Lage, mir zu antworten.
    Ich verstand nicht, was so falsch daran war, neugierig zu sein. Ich lebte jetzt seit über einem Monat in ihrem Haus, und es schien mir nicht besonders nett, dass er während dieser ganzen Zeit nicht ein einziges Mal vorbeigekommen war, um nach seinen Zeugern zu sehen. Immerhin war ich in den Augen der meisten eine gefährliche Verrückte, und die beiden schwebten somit in ständiger Lebensgefahr, solange ich im Haus war.
    Edmund räusperte sich. » Rex hat seine eigenen Angelegenheiten, um die er sich kümmern muss. Er ist beschäftigt.«
    Â» Oh.« Seine Worte klangen eher wie eine Ausrede. Wahrscheinlich hatten sie sich gestritten. Aber ich gehörte nicht zur Familie, also bohrte ich nicht weiter nach.
    Eine Weile herrschte Schweigen. Ohne es zu wollen, hatte ich sie traurig gemacht, und ich wagte es nicht, noch weitere Fragen zu stellen. Nachdem ich meinen Teller leer gegessen hatte, gab es eine süße Nachspeise. Sie schmeckte genauso unglaublich wie die Kirschen aus der Dose, die ich mit Bleich in den Ruinen gegessen hatte, und die Bilder von damals stiegen wieder in mir auf.
    Â» Was ist das?«
    Â» Versuch’s.« Bleich tauchte die Fingerspitze in das Gefäß und hielt sie mir hin.
    Auch wenn ich mich nicht gerne füttern ließ wie ein Balg, konnte ich nicht widerstehen. Der Geschmack explodierte regelrecht auf meiner Zunge, süß und warm. Wie im Rausch griff ich in die Dose und hielt ein kleines rundes rotes Ding zwischen den Fingern. Ohne Zögern schlang ich es hinunter, dann noch eins und noch eins, bis mein halbes Gesicht rot verschmiert war, aber das war mir egal. Bleich beobachtete mich die ganze Zeit über amüsiert.
    Â» Woher wusstest du, dass das so gut schmeckt?«, fragte ich.
    Sein Lächeln verschwand. » Ich habe es mal mit meinem Dad gegessen. Früher.«
    Mittlerweile sah ich Bleich kaum noch. Wir sprachen so gut wie nie miteinander, und der Schmerz bohrte sich in mich wie ein glühender Metallhaken. Es musste einen Weg geben, die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung zu bringen, aber noch bevor ich weiter darüber nachgrübeln konnte, riss Oma Oaks mich mit einer Bitte aus meinen Gedanken.
    Ich machte den Abwasch, während meine Pflegeeltern im Nebenzimmer leise miteinander sprachen. Abgehackte Gesprächsfetzen drangen an meine Ohren.
    Â» …vielleicht sollten wir es ihr sagen. Damit sie sich nicht so außen vor fühlt«, flüsterte Oma Oaks.
    Â» …keinen Sinn. Es geht sie nichts an.«
    Ich hörte weg, räumte das saubere Geschirr in den Schrank und klopfte an die Tür. » Darf ich eine Laterne mit nach oben nehmen?«
    Â» Hast du noch Hausaufgaben zu erledigen?«, fragte Edmund.
    Â» Ja, Sir.«
    Â» Aber natürlich.« Oma Oaks nahm eine Petroleumlampe vom Tisch und gab sie mir. » Sei vorsichtig. Stoß sie nicht um und verbrenn dich nicht.«
    Â» Unten hatten wir auch welche«, rief ich ihr ins Gedächtnis, falls sie vergessen hatte, dass der Umgang mit Feuer nichts Neues für mich war. Wenn alle Kinder in Erlösung so behütet wurden, war es ein Wunder, dass sie überhaupt allein zur Schule fanden. » Mir wird nichts passieren.«
    Edmund nickte.

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