Die Zukunft des Mars (German Edition)
Kaltsturms eine solche Grenze vorerst zunichte macht. Noch immer verhindern das Heulen der gejagten Luft, das Knattern und Knallen unserer Plane und das gierig sirrende Schaben desSandes auf deren Oberfläche, dass wir Wörter, geschweige denn Sätze, miteinander wechseln. Schweigend ist jeder zwischen Schweigende gekauert. Ebenso sicher bin ich, dass keiner der anderen sechs Erwachsenen gewagt hat, seine Lage, auch nur einen halben Arm weit, nach hinten zu verschieben, denn dann wäre der Sturm unter das unbeschwerte Kantenstück geschlüpft und hätte unser Dach hinweggewuchtet.
Alide hält nun schon ein langes Weilchen still. Womöglich ist es ihr als Einziger gelungen, in Schlaf zu fallen. Ich wünsche ihr, dass sie von jenem Weihnachten träumt, das hier in diesem Dunkel nur noch eine andere aus eigenem Erleben kennt. Ich hoffe, in ihrem Traum zieht sie noch einmal, im richtigen Moment und an der rechten Stelle ihrer Welt, das Fernrohr aus jenem Papier, das für uns verloren ist, weil es der Sturm längst in einen fernen Winkel unseres Planeten geblasen hat. Womöglich werden der plane blaue Himmel und seine besonderen Sterne eben jetzt durch den noch unerkundeten Norden der Faltenhügelchen getragen, vorbei an der Stelle, wo eine letzte Strähne Haar von Smosmos lang schon ausgedörrtem Schädel flattert.
Ich aber, Smosmos braver Schüler, bin inzwischen wohl das, was eines unserer Heiligen Bücher in rätselhaftem Zusammenwachsen zweier Wörter einen Glückspilz nennt. Denn der Zufall hätte fügen können, dass ich mich nun, den ganzen Kaltsturm lang, zwischen Twitwi und unsere Barmherzige Schwester krümmen müsste. Dies ist mir, der Sonne sei gedankt, erspart geblieben. Weder an die weiche Fülle meiner Vorgesetzten noch an die sehnige Härte Twitwis müssen meine Glieder rühren. Stattdessen stößt erneut Toctocs linker Ellenbogen gegen meine rechte Hüfte. Jetzt zuckt sein Bein, er rutscht, eine bequemere Lage suchend, ein kleines Stück nach oben. Seine Bewegung steckt mich an, ich wälze mich halb herum. Dagegen ist nichts einzuwenden.Auf diese Weise sind die uns möglichen Bewegungen mittlerweile viele Male, wohl hundert Mal und mehr, im Kreis herumgewandert.
Ich zittere vor Glück. Denn auch an meiner anderen Seite, zu meiner Linken regt es sich. Wieder erkenne ich das wellenartige Strecken und Zusammenkrümmen, das von ihren Schenkeln auf ihren Rumpf und dann auf ihren Nacken überspringt. Und schon ist es erneut geschehen: Die Spitzen ihres seltsam duftenden Haares tupfen mir ins Gesicht. Es kitzelt mich in beiden Nasenlöchern. Ich reiße den Mund auf, halte den Atem an, um wie beim vorigen und vorvorigen Mal das Niesenwollen, das andrängende Niesenmüssen zu unterdrücken. Wie schrecklich schön, wie süß, allein schon dieses Niederzwingen ist.
Was macht er da? War das ein unterdrücktes Niesen? Zum dritten oder vierten Mal hat er mit einem kleinen, scharfen Ruck den Atem angehalten. Jetzt rutscht er wieder ein kleines Stück nach oben, weit genug, dass sein Mund ans Ende ihres Scheitels haucht. Alide mag es, wenn sie sich, während sie am Küchentisch über dem Schulheft sitzt, über ihre Haare beugt und ihr heftig auf den Scheitel pustet. Sie hält den Kitzel aus, so lang es ihr nur möglich ist. Wenn sie schlussendlich, kichernd und zappelnd, aufspringen will, umfangen ihre Arme sie von hinten und pressen ihre Schultern fest gegen die Lehne, weil Alide genau dies will und innig zu genießen weiß.
War das ein Stoß? Hat sich ihr Knie so weit gebeugt, dass sie mit einem ihrer Schuhe – oder der nackten Ferse! – gegen meinen Oberschenkel pochen konnte? Falls es ein absichtliches Stoßen war, soll es vielleicht dazu dienen, mich vor einem kommenden, heftigeren Stoß zu warnen. Womöglich war es ihre Faust? Nein, so weit kann ihr Arm auf keinen Fall an mir herunterreichen. Außerdem habe ich eben, mit den nach vorn zuckenden Fingerspitzen, doch gespürt,dass ihre Hüfte nicht senkrecht steht, sondern sich von mir wegneigt. Halb auf den Bauch gerollt, wird sie das linke Bein leicht angezogen haben, und dessen Fuß muss gegen mich gezuckt sein.
Warum hält er jetzt völlig still? Sogar sein Atem stockt. Alide mag ihn leiden. Als sie mit Mirmir und Toctoc an der Platte eintraf und, glücksstarr, glücksstumm, töricht vor Glück, einfach vor deren Kante stehen blieb, legte Alide ihr Fernrohr, Spirthoffers Weihnachtsgabe, vorsichtig in die Hände der bemützten Kerle – es scheinen
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