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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Ausatmen, so wie ich es als Einziger kannte, aus der Tiefe der Faltenhügelchen herauszuhören.
    Keiner ist gegen die Schändliche Unlust gefeit. Womöglich ist sie die gefährlichste Krankheit unseres Planeten. Das Studium der Heiligen Bücher hat mir nicht verraten, ob es dergleichen bei Euch gibt. Manches klingt ähnlich, aber in keinem der 56   Folianten wird ein Verfall beschrieben, der dem hiesigen Dahinsiechen genau entspräche. Die Schändliche Unlust bricht jählings aus. Eine Kollegin, Altfinderin desselben Jahrgangs, kam am fraglichen Tag ins Sonnenhaus und bat mich, nach meiner Mutter zu sehen. Sie habe mitten in einer verheißungsvollen Arbeit, während einer Grabung, die so ganz nach ihrem Geschmack hätte sein müssen, ihre Harke auf das Halbfreigelegte geworfen und sei ohne ein Wort der Erklärung Richtung Kolonie gestapft. In unserer Kammer fand ich sie auf dem Bett, stramm eingewickelt in ihre Decke, meine kurze alte Kinderdecke hatte sie sich um den Kopf geschlungen. Auf meine Fragen antwortete sie allenfalls mit einem merkwürdig trockenen Auflachen.
    Smosmo erklärte mir noch am gleichen Tag, dieses Lachen sei, oft verbunden mit einem geringschätzigen Schnauben, der untrügliche Hinweis auf den Ausbruch der Krankheit. Dass meine Mutter am nächsten Morgen aus eigener Entscheidung zur Behandlung ins Sonnenhaus kam, nahm er allerdings als ein gutes Zeichen. Mirmir und Smosmo legten ihr den ersten Blaumehlwickel an, und auf dem Rückweg schlüpfte ihr Arm unter den meinen.
    Damals, als ich mit Toctoc in die Faltenhügelchen geschickt wurde, war die Krankheit bereits in ihr mittleres Stadium getreten, das sich unentschieden über Wochen hinziehen kann. Meine Mutter ließ sich nicht mehr zu einem längeren Aufbleiben, geschweige denn zu einem Ausflug ins Sonnenlicht bewegen. Aber sie wusch sich noch und nahm, wenn ich ihr lang genug zugeredet hatte, kleinere Mengen weicher Nahrung, meist lauwarmen Mockmockbrei, zu sich. Obwohl sie wenig aß, schien sie nicht an Gewicht zu verlieren.Ihr Gesicht wirkte sogar fülliger, als wäre sein Gewebe aufgequollen. Die starken Falten von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, die ich von ihr geerbt habe, hatten an Tiefe eingebüßt, was sie trügerisch verjüngte. Gelegentlich bat sie mich, ihr unsere Spiegelfliese zu reichen, war dann stets mit deren Blankheit unzufrieden, und wenn ich ihr den Glanzstein frisch poliert erneut hinhielt, stieß sie nach einem kurzen Blick auf ihr Bild die Luft scharf durch die Nasenlöcher.
    Im ersten Morgengrauen begannen Toctoc und ich damit, den Blaustein abzubauen. Die für feines Werkzeug zuständige Neubastlergruppe hatte uns erstmals schmale Kellen aus Altmaterial mitgegeben, deren Kanten so scharf waren, dass sich die Blausteinadern in fingerlangen Stücken herausheben ließen. So freute die Arbeit. Nur die Unruhe des Untergrunds machte uns Sorgen. Das Beben hatte während der Nacht an Stärke zugenommen. Jetzt gönnte es sich längere Pausen, um dann mit besonders heftigen Stößen zu überraschen. Wir arbeiteten ganz am Ende der Rampe, dort, wo sich unsere Vorgänger mehr als zwei Armlängen unter einen Überhang hineingegraben hatten. Toctoc wies mich auf die Risse hin, die über unseren Köpfen entstanden waren, aber der besonders lehmige, fast tropffeuchte Braunstein schien uns elastisch genug, um die Erschütterungen aufzufangen.
    Es war mein Glück, dass Toctocs Kelle brach. Während er aus seinem Rucksack ein Ersatzwerkzeug holte, stand ich allein unter dem Überhang, als dieser schmatzend riss und auf mich herabstürzte. Obwohl es mich schwer am Kopf traf und ich sofort bewusstlos gewesen sein muss, kann ich mich an ein letztes Angstbild erinnern. Mir war, als fiele ich rücklings in einen dunklen, sich nach unten verjüngenden Trichter und risse dabei mit dem Doppelblick meiner Augen, wie mit Hilfe zweier mächtiger Saugnäpfe, auch meine ganzeWelt mit mir in eine Tiefe, in der uns ein endschwarzer Punkt, ein Pünktchen nur, erwarte. Frei fallend verstand ich: Dies ist die geheime Mitte unseres Planeten. In stiller Gier wartet sie darauf, nicht bloß mich, sondern einen jeden von uns samt seinem Tun und Lassen in ihren Abgrund heimzuholen, in eine winzige und doch alles Lebendige fassende schwarze Kugelkammer.
    Toctoc hat mich mit bloßen Händen ausgegraben. Seine Finger holten mir den Lehm aus dem Mund und pulten mir die Nasenlöcher frei. Aus seiner Erzählung weiß ich auch, dass er mich um die Leibesmitte

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