Die Zukunft des Mars (German Edition)
Vorfalls an. Es sei undenkbar, dass die Bestrafung des Übeltäters auf die übliche Weise vollzogen würde. Der Junge dürfe nicht, wie es bislang Brauch gewesen sei und weiterhin Brauch sein werde, von der Barmherzigen Schwesterdurchgeprügelt werden. Dies stünde auch der ehrwürdigen Amtsinhaberin als Unmöglichkeit vor Augen, sobald sie von den Umständen des heutigen Vorfalls erführe. Allerdings würde es eine nie da gewesene Unschicklichkeit bedeuten, der Barmherzigen Schwester auf dem gewohnt kurzen Wege mitzuteilen, wer die Verletzte und wer der Verletzer seien.
Wir schlürften an unseren Schalen und waren wohl alle drei sehr froh über ihre Größe, über die langwährende Menge verdünnter Mockmockmilch, die sie enthielten. Toctoc gab seufzend zu bedenken, die Barmherzige Schwester werde bei der Abendrunde erfragen, zu welchen Unfällen und Behandlungen die Nothelfer ausgerückt seien. Die Seltenheit des Ereignisses ziehe unweigerlich nach sich, dass alle Einzelheiten, natürlich auch die Namen der Beteiligten, zur Sprache kommen müssten. Girrgirr schnaubte mürrisch auf. Auf einen Zug trank er seine Schale leer. Schließlich fragte er uns, ob er auf unser Einverständnis rechnen könnte, falls er nun ins Gebäude des Panik-Rats hinüberginge und den beiden dort in Bereitschaft stehenden Räten von der Besonderheit des Vorfalls Bericht erstatten würde.
Ich spürte, dass Toctoc mich ansah. Er kennt mich. Ich habe ihm schon zu viel erzählt. Und so war es sein gutes Recht, fast seine Pflicht, mir den Vortritt zu lassen. Ich widersprach. Ich widersprach, weil er auf meinen Widerspruch hoffte. Aus Toctocs Erwartung zog ich den nötigen Mut. Ich teilte Girrgirr mit, ich selbst wolle die leidige Angelegenheit bei der Abendbesprechung im Sonnenhaus gleich eingangs unter sofortiger Nennung der Namen zur Sprache bringen, und ich sei sicher, die Barmherzige Schwester werde ohne Umschweif die richtige Entscheidung treffen. Girrgirr nickte, zog die Stirn in Falten, zuckte dazu mit den breiten Schultern. Dann nahm er seine Staubbrille ab, und dass er deren Sichtscheiben nacheinander mit dem Zeigefingernagel durchstieß, zeigte Toctoc und mir, wie sehr ihmmein Widersprechen, wie sehr ihm meine Eigenmächtigkeit missfiel.
Heute Abend dann, als ich meinen Entschluss in Worte umsetzen musste, zitterten mir vor Aufregung die Beine, und ich war mehr als nur froh, dass Toctoc unter dem Tisch seinen linken Schenkel gegen meinen rechten presste, um mich bei meinem Bericht zu unterstützen. Wieder erwies es sich als günstig, dass unsere Barmherzige Schwester in ihrer kurzen Amtszeit so außerordentlich dick geworden ist. Wie fest sie dasaß! Keiner ihrer Halswülste bebte, sie verzog keine Miene, nicht einmal ihre fettumpolsterten Öhrchen zuckten. Mit wenigen Sätzen, nicht zu ausführlich, aber auch nicht zu knapp, legte sie dar, was geschehen solle. Und während mein Knie noch an Toctocs Knie bebte, wurde bereits der nächste Punkt, der bedenkliche Schwächeanfall eines Ratsmitglieds, erörtert.
Ich saß still, ohne mich ein weiteres Mal zu Wort zu melden, am Tisch. Nur allmählich begriff ich, was befohlen worden war. Noch jetzt muss ich es mir halblaut vorsprechen, um seine kommende Wirklichkeit zu ermessen. Ohne jeden Missklang, ohne jede peinliche Auffälligkeit hatte die Barmherzige Schwester den versammelten Nothelfern mitgeteilt, ausgerechnet ich dürfe den kleinen Milchzahnausschläger morgen ins Gewölbe hinunterführen. Dort unten soll sich der Übeltäter über den Deckel des Behälters beugen, in dem unser Urahn ruht. Mirmirs einziges Kind, ihr in die Obhut einer anderen Mutter gegebener Sohn, wird dann, so wie es seiner unaussprechlich gewordenen Herkunft zukommt, klaglos still halten, wenn ihm meine gewiss zitternde Hand die verdienten fünf Stockhiebe auf den Hosenboden verabreicht.
Fünfte Schreibnacht
T octoc hat mich ertappt. Ausgerechnet Toctoc, der Gutmütige, ist mir auf die Schliche gekommen. Ich bin mir sicher, dass es ohne Absicht geschah. Und dennoch rätsele ich, seitdem es uns zustieß, was ihn bei den drei Heiligen Namen unserer Sonne nur dazu gebracht haben könnte, einfach so in meine Kammer zu marschieren. Anders als bei Euch ist es nicht üblich, dass einer den anderen besuchen kommt. In all den Jahren, während derer ich mit meiner Mutter hinter einem dünnen, allmählich fadenscheinig werdenden Vorhang aus Altstoff und dann hinter einer wunderbar festen Tür in einer schmalen, aber
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