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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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schlangenförmiges Zeichen ergab, eine Acht, der zwei Halbbögen fehlten, oder der Buchstabe S.
    S wie Sprengung hatte das selbstverständlich geheißen. Nickmüller stand auf, um die Bauteile des Zünders zusammenzuholen. Sie lagen verteilt auf den Tischen seiner Arbeitsräume, offen zwischen Werkzeugen und Geräten, bei anderem Elektrokram, der ihnen in Bauweise und Funktionglich. Es war leicht gewesen, sie in die Kirche zu bringen. Das Hereinschaffen des Sprengstoffs hingegen hatte Erfindungsreichtum und Geduld verlangt. Die Fahrzeugdurchleuchtungsanlage lieferte, seit sich der alte Spirthoffer um ihre Einstellung gekümmert hatte, unheimlich scharfe Bilder. Und die beiden Hunde, struppige, kurzbeinige Promenadenmischungen, die der Weiße Khan dem Don zum zehnjährigen Jubiläum seiner Regentschaft geschenkt hatte, waren vortrefflich abgerichtet. Zweimal, einmal im blutigen Bauch eines frisch geschlachteten Puters und bald darauf in einem Sack voll duftender Kräuter für Frau Doktor Hus Hausapotheke, hatten ihre Nasen die kostbaren grauen Kügelchen aufgespürt. Zum Glück waren in beiden Fällen funktionsfähige Zünder beigegeben gewesen und hatten das Ganze wie eine autarke Bombe aussehen lassen.
    Die Tüte mit dem Sprengstoff in der einen, den zusammengesetzten Zünder in der anderen Hand, humpelte Nickmüller zum Aufzug und blockierte die Tür, damit die Kabine nicht nach oben gerufen werden konnte. Die naheliegende Idee, den Sprengsatz im Boden des Lifts zu verbergen und ihn so ein Stockwerk höher, an seinen Bestimmungsort auffahren zu lassen, war ihm seltsam spät gekommen. Oben, im Schalt- und Rechenzentrum der Kirche, war die Aufzugtür aus Sicherheitsgründen dauerhaft verriegelt, aber die Druckwelle würde sie wie ein Stück Pappkarton hinwegpusten. Die beiden Techniker gingen nacheinander zum Essen in die Kantine hinunter. Sie arbeiteten schon seit Jahren zusammen, waren Freunde geworden, und es widersprach dem ersten Prinzip der Dialogischen Brüderlichkeit, ein derart natürlich gewordenes Paar durch gewaltsamen Tod zu zerreißen. Also würde Nickmüller den vor den Bildschirmen Verbliebenen an den hinteren Eingang locken, der maximal weit vom Aufzug entfernt war. Und erst wenn er ihn dazu gebracht hatte, ums Eck und einige Schritte aufden Flur hinaus zu treten, wollte er das Granulat per Funk zünden.
    Nickmüller rutschte, an die Kante der Aufzugtür gelehnt, so langsam, wie er es zustande brachte, nach unten, bis er auf dem Boden saß. Seine Hüfte antwortete ihm mit nie dagewesener Deutlichkeit: Ihm war, als drehte sich ein vernutzter Porzellanmörser höhnisch knirschend in einem zerschrammten Schüsselchen. Er legte sich auf die Seite, wälzte sich vorsichtig auf den Bauch, und es gelang ihm, die Bodenplatte aufzuhebeln und den restlichen Sprengstoff einzufüllen. Aber seine Hände zitterten zu stark, um den Zünder anzuschließen, und dann erstarrte sein linker Oberschenkel in einem bösen Krampf.
    Also setzte er sich stöhnend wieder auf und zog das Etui mit Hus Kräuterzigaretten heraus. Immerhin war heute Weihnachten, und draußen dunkelte es bestimmt schon. Er wollte sich ein wenig früher als sonst, zur Feier des Heiligen Abends, ein paar schmerzlindernde Züge gönnen. Und wirklich, bereits die erste Inhalation entspannte das blockierte Bein. Tränen schossen ihm in die Augen, kullerten bis auf die Oberlippe. Auch dies tat gut. Er nahm noch einen zweiten Zug, hustete, gähnte und bemerkte erschrocken, wie schläfrig er wurde. Er robbte weiter in den Lift hinein. Die Hüfte hielt still. Er musste die Montage jetzt zu Ende bringen. Der Zünder klickte in die Aussparung, die Drähtchen schlüpften willig unter die Schnappklemmen. Ein letzter prüfender Blick aus allernächster Nähe: Er sah den Schemen seiner Nase, schielte auf die Zigarette, die ihm vom Mund hing, er sah ihre graue Spitze, bemerkte, wie es zwischen Papier und Asche aufglühte, sobald er keuchend Luft über die Lippen sog, und dann beobachtete Nickmüller noch mit jäh gesteigerter Schärfe, wie das krumme Rüsselchen mit reichlich Glut abbrach und dem Zünder, einem seiner blanken, goldfarbenen Kontakte entgegenstürzte.
    Oh! War das nicht gefährlich? Aber im Nu, ganz ohne mechanisch ruckeligen Übergang, ohne einen weiteren angstschweren Gedanken und jeder technischen Sorge enthoben, schwebte Nickmüllers Wahrnehmung mitten in einem jener wunderbaren Traumgebilde, in denen er ganz Blick und Ohr sein durfte: Er sah, wie

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