Die Zukunft des Mars (German Edition)
dann rief Opa Spirthoffer sich selber von der Tür her zu: «Lass die Kleine! Hilf mir erst mal die Mutter rüberschaffen!» Und sogleich gehorchte Opa Spirthoffer sich selbst, ließ sie wieder los, und ihr Kopf plumpste mit der Schläfe auf das Rechenheft, so heftig, dass es dumpf und hohl in ihr Gucken, Horchen und Denken donnerte. Obwohl sie sofort geahnt hat, welch dicke Beule sie davon kriegen würde, war Alide auch froh über dieses Hinknallen, denn nun hörte endlich das Rechnen auf, das, nutzlos geworden, weiter hinter ihrer Stirn herumgerattert war.
Plötzlich, als wären diese von irgendwo zurückgekommen,nimmt Alide ihre Füße wahr. Die Amerikaner drücken ganz fest auf die Fersen und ziehen an den Zehen herum. Vielleicht machen die beiden das Gleiche, was Elussa abends auf dem Küchenstuhl, bevor sie in die Hauspantoffeln schlüpft, immer durch die dicke Wollstrumpfhose hindurch mit ihren erwachsenen, aber hübsch klein gebliebenen Füßen anstellt. Nacheinander nimmt ihre Mutter beide in die Hände und beklagt sich rechts wie links darüber, dass ihre neuen Stiefel so schrecklich hart sind. Ganz oft – bestimmt schon hundert Mal! – ist Alide von Elussa gefragt worden, ob sie ihr erklären könne, warum man hier im Freigebiet Germania, auf dem Markt Für Alles, so unbequeme Schuhe verkaufe. Zu Hause in Sibirien hätten ihr die Fußsohlen auch in nagelneuen Schuhen kein bisschen wehgetan.
Alides Füße sind eiszapfenkalt. Wie kalt sie von den Knöcheln bis in die Zehenspitzen schon die ganze Zeit gewesen sein müssen, ist erst jetzt zu merken, wo sie gedrückt, geknetet und gerieben werden. Zum Glück haben die beiden Kaugummikauer glühend heiße Hände. Über Alides Fersen fließt diese Wärme, die amerikanische Hitze, ganz langsam hinauf in ihre Waden. Alide ist richtig froh, dass über ihren Knöcheln noch der ganze Rest ihrer Beine kommt. Und unterhalb ihrer Brust, in der vorhin die neue Luft gezwickt hat, muss auch noch ihr Bauch sein.
Erneut schluckt Alide so viel Spucke, wie sie im Mund zusammensaugen kann, sie spürt die Krümmung, über die der Speichel in das Röhrchen fließt, das sie hierfür wie alle Menschen und Kaninchen in ihrem Hals hat, aber ob die Spucke bis in Magen hinabgelangt, kann sie, obwohl sie ganz fest hindenkt, nicht erfühlen. Und gerade als sie beschließt, nun doch die Augen, vielleicht erst einmal ein Auge aufzuklappen, um damit in die neue Luft hinauszublitzeln, als sie einfach nachgucken will, ob ihr Bauch und ihre Knie noch da sind, wird ihr plötzlich wieder so schummrig wie amTisch von Opa Spirthoffer, und hinwegdösend denkt Alide, dass sie, ob sie mag oder nicht, gleich wieder eingeschlafen sein wird, so wie in der nach Premium Petro und altem Papier duftenden Werkstattluft über ihrem Rechenheft, so wie zuvor schon ihre Mutter, obwohl die doch mit Opa Spirthoffer – der böse, böse Opa Spirthoffer! – ein letztes Mal vor Weihnachten zwei Stunden lang Russisch lernen wollte.
Spispi sieht schwarz. Anders als Brüderchen Hoho ist Spispi sicher, dass dieses kleine Mädchen, schon bevor der Tag anbricht, leblos wie ein Brocken Graustein vor ihnen auf dem Krafttisch der Werkstatt liegen wird. Von den nassgeschwitzten Zöpfen, von der Beule an ihrer Stirn bis zu den splittersteinweißen Füßchen wird sie dann so kalt sein, als hätte sie die ganze Nacht, die ganze lange Nacht der Mondgleiche, nicht hier auf dem Warmsteinmosaik des Tisches, sondern in einem Loch voll Eisquellwasser zugebracht. Da hilft kein Füße-Rubbeln, und auch der heiße Heilbrei, den Porrporr jetzt endlich in einem großen Topf aus dem Sonnenhaus herüberbringt, kann dieser wundersüßen Kleinen wohl nicht mehr helfen.
Zu viert werden sie ihr beim Sterben zusehen müssen, und das ist immerhin ein bisschen besser als zu zweit. Wieder sind Twitwi und Porrporr nicht mitgegangen, als die Frauen und Männer ins Ratsgebäude strömten, weil die Monde am aufgeklarten Himmel gemeinsame Sache machten. Jeder für sich allein in seinem Kopf gefangen, behalten die kluge Twitwi wie der heimlichtuerische Porrporr für sich, warum sie auch diese Nacht nicht mit den anderen Großgewordenen verbringen. Brüderchen Hoho denkt sich zurecht, Porrporr habe als diensttuender Nothelfer im Sonnenhaus ausharren müssen, falls eines der Kinder, die noch nicht mittun dürfen, oder einer der Alten, die nicht mehr mittun können, einen Unfall erleidet. Auf dem Altar des Sonnenhausesdösend, habe er dann
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