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Die Zukunft des Mars (German Edition)

Die Zukunft des Mars (German Edition)

Titel: Die Zukunft des Mars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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nicht mehr liebe Opa Spirthoffer zuletzt noch über den Riesentisch hinweg gesagt.
    Hier ist es besser. Die neue süße Luft tut gut. Und wenn Alide aufpasst, den Mund weiter schön zulässt und durch die Nase nicht zu tief, nicht bis in den Bauch hinunterschnauft, schmerzt das Atmen fast überhaupt nicht mehr. Nur oben im Hals, hinter der Zungenwurzel, brennt es weiterhin ein bisschen. Alide schluckt. Die Spucke kühlt ihr die Kehle, und sie beschließt, mit dem Aufmachen der Augen und allem Weiteren, besonders mit dem, wozu man Arme und Beine, Hände und Füße braucht, besser noch zu warten. Sie will brav stillhalten, bis auch die liebe neue Luft, so wie die alte Luft im Freigebiet Germania und die davor, die in Sibirien, es hinkriegt, unfühlbar in ihre Lungen hinein- und ebenso unfühlbar wieder herauszuströmen.
    Nicht nur an die verflixten Zahlen, an das Gähnen und an das gemeinsame Lachen mit dem noch eine winzige Weile nett gewesenen Opa Spirthoffer, sondern auch an die spätere Wut kann sich Alide jetzt genau erinnern. Ihren frisch angespitzten Bleistift in der Faust, wollte sie aufspringen, ihrer Mutter helfen, indem sie den bösen Opa Spirthoffer damit stach, irgendwohin piekste, wo es allen Menschen, den guten wie den schlimmen, richtig wehtut. Aber dann gucktenihre Augen auf ihre Hand, und die hatte den schönen, langen, noch fast neuen Stift leider fallen lassen. Da lag er schräg über der letzten, der besonders schwierigen Aufgabe und war, weil ihr Heft inzwischen dick wie ein Buch und weicher als ein Kuchenteig geworden war, bis an seine schwarze Spitze in das Netz aus Linien gesunken.
    Jetzt will Alide mit zusammengepressten Lidern und Lippen einfach noch ein bisschen liegen, nicht weiter an Opa Spirthoffer, ans Rechenheft und an den Bleistift denken, sondern stattdessen lieber horchen, was hier, in der neuen Luft, ganz nahe bei ihr, rechts und links von ihrem Kopf und über ihren Kopf hinweg, geflüstert wird. Ob es wohl Amerikanisch ist? Wenn ja, dann ist das Amerikanische eine leichte Sprache, viel leichter als das Deutsche. Denn obwohl sie noch keine einzige Stunde Unterricht darin gehabt hat, versteht Alide nahezu alle Wörter, es sind nämlich beinahe dieselben wie im Russischen. Wenn die beiden, die da dicht neben ihr miteinander reden, bloß ein wenig deutlicher sprechen würden. Sie krächzen und schmatzen. Ganz ähnlich hatten die Stimmen der Monsterlein durch das Glas von Opa Spirthoffers Schaufenster herausgeklungen.
    Ob diese Schmatz-Amerikaner wohl Kaugummis im Mund haben? Ja, bestimmt haben sich die beiden zu viel Kaugummi in den Mund gestopft, weil die besondere Luft sie ebenfalls in ihre Hälse zwickt und das Lutschen, Kauen und Schlucken dagegen hilft. Alide weiß von ihrer Mutter, dass die Amerikaner den Kaugummi erfunden haben. Früher, als sie noch nicht einmal in Elussas Bauch, sondern noch beim lieben Gott im Himmel war, konnten die Kinder überall auf der ganzen Welt solche Kaugummis kaufen. Fünf oder zehn Kaugummis für einen oder vielleicht auch nur für einen halben Eurorubel, also für ein einziges braunes Fünfzig-Europekenstück! Wenn Alide beim Essen mit vollem Mund spricht, dann sagt Elussa manchmal zu ihr: «Ichverstehe kein Wort, nimm bitte den Kaugummi aus dem Mund!» Das findet ihre Mutter immer aufs Neue lustig, und Alide tut stets brav so, als ob auch sie es komisch fände, aber insgeheim ärgert sie sich jedes Mal über den blöden Scherz, weil sie in ihrem ganzen Leben noch nie auf einem dieser besonderen Gummis herumkauen durfte und nicht einmal weiß, wie ein solcher überhaupt aussieht, geschweige denn, wie er schmecken könnte.
    Die Kaugummi-Amerikaner reden über Alides Füße. Der eine hat gerade gesagt, dass sie ganz weiße Füße hat, der andere meinte daraufhin, ihre Füße würden aussehen wie ein Stein, dessen Namen Alide zum ersten Mal gehört und gleich wieder vergessen hat. Jetzt überlegen die beiden, wer welchen bekommt: Wer den rechten und wer den linken Fuß kriegen soll! Dann hört sie den einen wie den anderen Amerikaner bloß noch leise schnaufen. Anscheinend sind sie schon zu ihren Füßen hinunter und sich dort einig geworden. Gut, dass sie nichts davon spüren kann.
    Der böse Opa Spirthoffer hatte nicht bloß der armen Elussa, sondern bald auch Alide seine riesig gewordenen Hände von hinten unter die Achseln geschoben. Schon strich ihr sein Pusten übers Ohr, Alide roch seinen Atem und wurde mit einem Ruck vom Stuhl gehoben. Aber

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