Die Zukunft ist ein toller Job (German Edition)
nie
jemanden über seinen Beruf reden hören.
„Meine Mutter sagt, dass ich schon als
Zweijähriger Hauspläne gezeichnet hab“, fuhr er fort. „Längsschnitte,
Querschnitte, Ausstattung … Für Eierköpfe oder Blümchen hab ich mich nie
interessiert. Immer nur für Häuser.“
Als sein Telefon zum dritten Mal klingelte, reagierte
er sichtlich verwirrt auf die Störung. Während er in den Flur ging und dort
geschlagene zehn Minuten lang mit Nadine sprach, trank Marie ihren Tee und
stieß dabei leise Verwünschungen aus. Das führte aber nur dazu, dass sie das
Schlucken vergaß und das Zeug in den falschen Hals bekam. Als sie es in die
Gegend spuckte und hustete, kam sie wieder zu sich. Eine entzückende Ex hatte
Jonas da. Die war eindeutig ein Bremser. Irgendwie musste es Marie gelingen,
sie endgültig aus seinem Leben zu verbannen.
„Ich hab ihr gesagt, dass ich im Moment nicht
so reden kann“, sagte er, als er wieder hereinkam. „Normalerweise ist sie nicht
so anhänglich. Ihr ist heute nur ein Weisheitszahn gezogen worden, und das tut
wohl ziemlich weh. Sie hat sonst niemanden, mit dem sie darüber quatschen kann.“
Dann kam er wieder auf sein Herzensthema zu
sprechen und erzählte Marie, dass ihm sein derzeitiges Praktikum recht gut
gefiele, auch wenn sein Chef ein Arsch sei. Dort dürfe er wenigstens an
Präsentationen teilnehmen und nicht nur Kaffee kochen oder Unterlagen kopieren,
wie in den anderen Büros. Im Moment würden sie gerade die Bauausführungsplanung
für ein großes Hotel in der Innenstadt machen. Da würde er sich zum ersten Mal
nicht wie ein blöder Praktikant vorkommen, sondern wie ein freier Mitarbeiter.
Während er sprach, hing Marie mit ihren Augen
an seinen Lippen. Und als er einmal versehentlich ihr Bein berührte, spürte
sie, wie sie rot wurde.
Jonas … Es war faszinierend, wie er gegen seine
Probleme ankämpfte. Er hatte nun mal das Ziel, Architekt zu werden, und an dem
hielt er fest, egal, was passierte. Mit kämpferischem Idealismus, eisernem
Willen und viel Selbstdisziplin schaffte er es, jedes Hindernis zu umschiffen,
das sich ihm in den Weg stellte. Und wenn er es nicht umschiffen konnte, rannte
er dagegen an. Wenn es sein musste, mit dem 27sten Praktikum. Wenn es unbedingt
sein musste, auch mit dem 28sten. Und wenn es gar nicht mehr anders ging, bis
zu dem Augenblick, an dem der Sargdeckel herunterklappte. Aufgeben stand nie
zur Debatte. Wer aufgab, hatte verloren. Und was Marie am meisten berührte: Er
konnte sich wie ein Kind für seine Sache begeistern. Er glaubte an sich und die
Zukunft. Von dieser kindlichen Zuversicht hätte sie gern etwas abgehabt. Sie
selbst war eher ein zaghafter Typ, der schnell aufgab. Auch wenn sie sich immer
einredete, dass sie inzwischen einen anderen, nämlich ihren eigenen Weg
gefunden hatte.
Jonas ... Von der Optik her war er ganz sicher
ein Mann, dem die Frauen reihenweise nachliefen. Aber außer Nadine schien er in
letzter Zeit keine weibliche Gesellschaft gehabt zu haben. Und wenn man der
Beobachtungsgabe des Hausmeisters trauen konnte, gab es auch sonst keine
aktuellen Bewerberinnen. Aber vielleicht war das nicht verwunderlich. Viele
Frauen scheuten vor einem chaotischen Dauerpraktikanten mit einer sabbernden
Monsterdogge im Schlepptau zurück. Sie bevorzugten die hundelose Variante, die
beruflich vorankam und Verantwortung im Leben übernahm.
Jonas … Er brachte Marie oft zum Lachen, und
sie konnte über alles mit ihm reden. Er hörte ihr wirklich zu. Kein Wunder,
dass sie sich in ihn verliebt hatte. So verliebt, dass sie dauernd sentimentale
Seufzer ausstieß und insgeheim schon an mehr dachte. Sie wollte so gern mit ihm
zusammen sein, richtig zusammen sein. Sie konnte sich sogar
vorstellen, irgendwann ein Kind mit ihm zu haben. Dabei hatte sie bis vor
Kurzem nie eins haben wollen. Weil es auch schiefgehen konnte. Sah man ja an
ihr selbst. Sah man an dem, was ihr passiert war. Trotzdem keimte der Wunsch
immer heftiger und verlockender in ihr auf. Ein Kind. Ein Kind von Jonas. Im
Sommer würden sie mit ihm in den Tierpark gehen, den Eisbären beim Sonnenbaden
zusehen und einen Abstecher in den Streichelzoo machen. Und im Winter würden
sie mit ihm eine Art „Weihnukka“ feiern, eine Mischung aus Weihnachts- und
Chanukkafest. Sie drei würden sich ihre eigene kleine Welt erschaffen, und sie
würden sie sich groß denken.
Als Jonas gegen elf aufbrach, legte er Marie
zum Abschied die Hand auf die Schulter. Das war nicht ganz
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