Die Zukunft ist ein toller Job (German Edition)
die Straßen eilte, musste er
weiter über sie nachdenken.
Bis vor Kurzem hatte er sich noch gefragt, ob
er sich auch in sie verliebt hätte, wenn sie Klofrau in einer
Autobahnraststätte oder Küchenhilfe in einem Altenheim wäre, wenn sie also eine
langweilige statt einer interessanten Herkunft hätte. Und wenn sie nicht schön
und klug, sondern hübsch und dumm wäre. In besonders zynischen Momenten fragte
er sich sogar, ob sie nicht doch eine Art Trophäe für ihn war, ein Siegespreis,
den er sich geholt hatte? Inzwischen glaubte er es nicht mehr. Aber er war sich
auch immer noch nicht hundertprozentig sicher. Konnte das mit ihnen beiden auf
Dauer funktionieren? Marie da oben, er da unten? Was ihn betraf, würde er nie
vergessen, wo er herkam. Da gab es keine Millionengehälter, -boni und
-abfindungen, keine Luxusimmobilien am Genfer See und keine einflussreichen
Freunde aus der Wirtschafts-, Finanz- und Politwelt. Im Gegenteil, da rissen
sich die Leute ihr Leben lang bei irgendwelchen Drecksjobs die Ärsche auf,
bekamen ständig Besuch vom Gerichtsvollzieher und lebten später doch nur von
der Hand in den Mund. Wenn sie überhaupt noch lebten. Manche schufteten auch,
bis sie tot umfielen, und Urlaub hatten sie nur, wenn sie krank wurden. Sein
eigener Vater arbeitete zurzeit in einer Putzkolonne, und die Jobs seiner Mutter
hatten überhaupt keine Berufsbezeichnung. Maries Mutter hingegen war mit einem
Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen. Sie hatte Medizin studiert und bekam
laufend Preise für ihr soziales Engagement. Bei Maries Vater lagen die Dinge
anders. Der hatte sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet. Aber dann war
seine Karriere durch die Decke geschossen und im Weltraum verschwunden. Die
Firma, die er geführt hatte, machte laut Internetrecherche 35 Milliarden Dollar
Umsatz. Das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 35 Milliarden!
Es war völlig unmöglich, davon nicht beeindruckt zu sein.
Andererseits: Scheiß auf das Geld! Das war
plötzlich unwichtig, wenn man die ganze Zeit überlegte, wie man die Frau seines
Herzens erobern und ins Bett bekommen konnte.
Das mit dem Bett wurde sogar Wirklichkeit. Aber
anders, als Jonas sich das wünschte.
Als Marie ihm die Tür öffnete, konnte sie sich
kaum noch aufrecht halten, so schlottrig war sie auf den Beinen. Sie trug einen
zerknitterten und verschwitzten Flanellpyjama und hatte sich einen Schal um den
Hals gewickelt. Ihre Wangen glühten vor Fieber, ihre Stirn troff vor Schweiß
und ihre Hand tastete Halt suchend nach seinem Arm.
„Jesses, Marie!“, sagte Jonas, hakte sie unter
und brachte sie ins Schlafzimmer zurück. Sie wollte sich mit einem
Kopfschütteln gegen seine Hilfe zur Wehr setzen, aber sie hatte ihm nichts
entgegenzusetzen.
„Mir geht’s geschissen“, sagte sie mit heiserer
Stimme, als sie das Bett erreicht hatten. „Dröhnen im Kopf, pelziger Geschmack
auf der Zunge, Blei in den Beinen … Und das mitten im Sommer. Ich will nicht krank sein, ich darf nicht krank sein, ich hab keine Zeit für so
was.“
„Wenn du krank bist, bist du krank“, sagte er,
half ihr auf die Matratze und deckte sie zu, wobei er das Federbett bis zu
ihrer Nasenspitze hochzog. Da lag sie dann wie ein Häufchen Elend und rührte
ihn zutiefst. Also ging er in die Küche und goss eine Kanne Kamillentee auf.
Als Marie die fahlgelbe Plörre sah, schien sich
ihr fast der Magen umzudrehen. Trotzdem nahm sie einen Schluck davon.
„Es ist schrecklich, hier so rumzuliegen“,
sagte sie dann. „Ich lass meine Kunden im Stich. Ich lass dich im Stich.“
„Unsinn. Ich hab Herrn Zota gebeten, heute mit
Frau Meyer um den Block zu gehen. Das macht er gern, weißt du doch.“
„Ich halt’s aber nicht mehr aus hier drinnen“,
sagte sie. Dann verlor sie endgültig die Fassung, stellte ihren Becher auf den
Nachttisch und fing an zu weinen. Heftige Erschütterungen durchliefen ihren
Körper, der nervöse Tick in ihrem Augenwinkel steigerte sich ins Unermessliche
und ihre Zähne ratterten wie eine Modelleisenbahn auf Schienen. Es dauerte
mehrere Minuten, bis sie den Anfall überwunden hatte. Danach lag sie apathisch
und völlig erschöpft da.
„Hast du was dagegen, wenn ich mich auch ein
bisschen langmache?“, fragte Jonas.
Statt einer Antwort lüftete sie nur einen
Zipfel ihrer Decke. Er zog sein Jackett und seine Schuhe aus und krabbelte in
Hemd und Hose zu ihr ins Bett. Dann lagen sie eine Weile nebeneinander und
versuchten sich an die
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