Die Zukunft ist ein toller Job (German Edition)
sollte sie denn noch
tun, um Kosten zu sparen und Geld aufzutreiben? Einen Abstecher zur örtlichen
Tafel machen? Einen Plastikbecher in der Fußgängerzone aufstellen? Onlinepoker
spielen? Auf den Strich gehen?
Wenn das so weiterging, würde sie bald auf der
Straße stehen. Ohne Essen. Ohne Dach über dem Kopf. Vielleicht sogar ohne
Othello.
Dass sie schon zum zweiten Mal im Leben den
falschen Beruf gewählt hatte, war klar. Obwohl … War das so? War das, was sie
im Moment machte, nicht immer schon ihr Traum gewesen? Irgendwas mit Tieren
hatte es doch sein sollen. Sie liebte die Viecher nun mal und wollte so oft wie
möglich mit ihnen zusammen sein. Weil sie Freude und Schwung in ihr Leben
brachten, weil sie in jeder Beziehung eine Bereicherung waren. Insofern verband
sie mit ihrem Gassi-Geh-Service das Angenehme mit dem Nützlichen. Aber sie
musste endlich aufhören, sich etwas vorzumachen.
Wach auf und sieh den Tatsachen ins Gesicht!,
sagte sie zu sich selbst. Du bist 30 und pleite. Seit du diesen Job hast,
hangelst du dich von einem Minus zum nächsten. Aber du schaffst es nicht, dein Konto
dauerhaft auszugleichen. Du wirst es überhaupt niemals schaffen, das Geld für
dein Essen und deine Krankenversicherungsbeiträge und für alles andere zu
verdienen. Stattdessen wirst du dein Leben zwischen unbezahlten Rechnungen und
ersten, zweiten und dritten Mahnungen fristen. Und es gibt niemandem, den du
die Schuld dafür in die Schuhe schieben kannst.
Dann gute Nacht, Marie.
Je länger sie über das Problem nachdachte,
desto ängstlicher wurde sie, und irgendwann schlug ihre Angst in Panik um. Das
ging so weit, dass sie aus dem Bett sprang, ihren Laptop anstellte und mit
zittrigen Fingern die Adresse einer Jobcentrale in das Suchfeld eingab. Aber
dann schaltete sie ihn wieder aus, floh ins Bett zurück und dachte: Willst du
das überhaupt noch, Marie? Willst du weiter Bettelbriefe schreiben und Absagen
kassieren? Eine neue Ochsentour bringt doch nichts. Und selbst wenn sie etwas
bringt, selbst wenn du es tatsächlich schaffst und wie durch ein Wunder Arbeit
findest: Was willst du woanders? Warum solltest du dich zu etwas zwingen, was
du innerlich ablehnst? Du möchtest doch gar nicht mehr weg. Du willst bei Jonas
bleiben, denn ein Leben ohne ihn kannst du dir nicht mehr vorstellen. Alles ist
wie verwandelt, seit du ihn kennst, und alles macht tausendmal mehr Freude.
Sie schlug die Hände vors Gesicht und fing an
zu weinen.
Othello müsstest du auch wieder abgeben, wenn
du anfängst zu arbeiten, dachte sie. Dann könntest du dich tagsüber nicht mehr
um ihn kümmern. Und ihn einer anderen Gassigeherin anzuvertrauen, würdest du
niemals übers Herz bringen. Dann wäre er immer noch etliche Stunden am Tag
allein zu Haus. Du weißt doch, dass er das nicht verkraftet: allein zu sein. Er
hängt an seinem Zweimannrudel. Er ist doch ein Hütehund und braucht
Aufmerksamkeit und Herausforderungen. Wenn er keine Aufgaben hat, dreht er
wieder durch und fängt an, Autos und Fahrräder oder Jogger und Postboten zu
hüten.
Jetzt weinte sie noch lauter. Nicht nur, weil
die Vorstellung, sich von Othello zu trennen, wie eine offene Wunde in ihrer
Seele brannte. Auch, weil sie wusste, wie einsam und verloren sie selbst sein
würde, wenn sie wieder allein und als Außenseiterin in einer fremden Einöde
hocken müsste.
Aber genau das hatte sie doch immer gewollt.
Schon als Dreijährige hatte sie gequakt: „Alleine! Ich will das alleine machen.
Lasst! Mich! Los!“ Angeblich hatte sie nie in der dritten Person Singular von
sich gesprochen, wie andere Kleinkinder es taten. Da war von Anfang an dieses
starke, störrische Ich . Auch später hatte es das Wort Wir lange Zeit nicht in ihrem Wortschatz gegeben.
„Das ist mein Leben, meins!“ hatte sie ihren Eltern oft entgegengeschleudert
und ihnen damit das Herz gebrochen.
Ja, sie war ihren eigenen Weg gegangen, auch
wenn er oft anstrengend und voller Dornen gewesen war. Aber war es auch der
richtige gewesen? Und was war, wenn sie ihn weiterging und es ab einem gewissen
Zeitpunkt kein Zurück mehr gab? Die traurige Wahrheit war doch, dass sie seit
Jahr und Tag bis zum Umfallen schuftete und trotzdem bankrott war. Konnte es
sein, dass sie ihr ganzes bisheriges Leben in den Sand gesetzt hatte?
Was denn noch?, dachte sie. Was muss noch
passieren, bevor dein Traum sich in Luft auflöst?
Am liebsten hätte sie den Kopf in den Nacken
gelegt, die Schnauze gen Zimmerdecke gereckt und ein
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