Die Zusammenkunft
Ende.
Herbert starb völlig unerwartet mit siebenundsechzig Jahren im gemeinsamen Bett, direkt nachdem er seiner Frau eine gute Nacht gewünscht und noch ihrem Vorschlag für das gemeinsame Mittagessen am kommenden Tag zugestimmt hatte. Omma rief Sirona an, die fünf Minuten später im Türrahmen stand. Sie nahm ihre Mutter in den Arm und flüsterte nur ganz ruhig: »Alles wird gut Mama, hab keine Angst. Ich bin da, ich passe auf dich auf.«
Als es ruhiger wurde, ging Sirona zu ihrem Vater ins Schlafzimmer. Aus Gründen, die sie nicht benennen konnte, hatte sie keine Angst vor dem Tod. Später beric htete sie ihrer Mutter: »Weißt du, Mama, als Papas Kopf über die Totenbahre hinausragte und ich ihn hielt, während wir ihn heraustrugen, da war ich unendlich stolz darauf, dass ich es war, die ihn tragen durfte. Ich konnte ihm versprechen, dass er ruhig gehen könne, weil ich jetzt die Verantwortung übernähme.« Dass sie das Gefühl gehabt hatte, er habe ihre Seele berührt, verschwieg sie.
Am Ende des Jahres und am endgültigen Ende ihrer Ehe mit Werner, verkaufte Sirona schließlich ihr schönes , großes Haus, weil sie einfach keine Lust mehr hatte, die psychischen Attacken und Vorwürfe ihres Ex-Mannes zu ertragen. Etwas, das sie kaum erklären konnte, hatte sich in ihr mit zunehmender Gewalt vor seiner Ignoranz gewehrt. Mehr als einmal war sie nachts schweißgebadet aufgewacht und konnte sich nur flüchtig an einen Traum erinnern, in dem sie kurz davor gestanden hatte, einen sie bedrohenden Mann zu töten. Sie spürte, dass das Zusammenleben mit Werner in einer Katastrophe enden würde und zog kurzerhand in eine ausrangierte Arztpraxis. In dieser Zeit war Kim oft bei Omma.
Schließlich hatte Sirona sich dann endlich ein Grundstück gekauft und Omma und Kim mitgeteilt, dass sie bauen würde. Omma bekäme eine Wohnung im Erdgeschoss des Hauses, damit sie zukünftig mit ihrer kleinen Rente ein unbeschwertes Leben führen und, während Sirona arbeiten ging, Kim betreuen könne. Im Sommer vor sieben Jahren waren sie dann eingezogen in dieses wunderbare Haus, durch dessen Fenster nun die Sonne auf Sironas nackten Körper schien.
Wieso sie nach dem Duschen an ihren verstorbenen Vater denken musste, wusste Sirona nicht. Sie wusste jedoch, dass jetzt, sieben Jahre nach seinem Tod, drei starke Persönlichkeiten in diesem Haus lebten: Kim, die sich hervorragend gemausert hatte, Omma, die durch das Gefühl, gebraucht zu werden, mit Siebzig jünger wirkte als mit Fünfzig, und sie, Sirona, die bei aller Stärke frustriert vor ihrem Kleiderschrank stand und nicht entscheiden konnte, was sie anziehen sollte.
Für unterwegs waren natürlich Jeans und ein langär mliges T-Shirt angesagt, aber was sollte sie heute Abend tragen? Den schwarzen Hosenanzug oder lieber das dunkelblaue Kostüm? Trug man in der Semper Oper eigentlich noch lang?
Sie ging mindestens zweimal im Monat mit ihren Freundinnen ins Theater, auch in die Oper, aber hier in Lippstadt war alles kleiner und dezenter, da reichten auch eine schlichte schwarze Hose und ein Pulli.
Sie ließ es nicht gelten, wenn jemand etwas Negatives über das hiesige Kulturprogramm sagte, denn es war wirklich etwas Besonderes, klein aber fein. Aber die Semper Oper, die kannte sie eigentlich nur aus der Bierr eklame, aus dem Fernsehen, kurz bevor der zweite Teil eines Films nach der Werbepause wieder anfing.
Sie ging über den Flur und rief ihre beste Freundin Stella an, vielleicht konnte sie ihr die Entscheidung a bnehmen. Stella war sofort am Apparat, obwohl es Samstagmorgen war und sie gewohnheitsmäßig gleich die Nummer der Praxis gewählt hatte. »Hallo Süße, was gibt’s, bin mitten in einer Behandlung und habe eigentlich gar keine Zeit.«
»Schatz, sag mir bitte einfach, was ich heute Abend in der Semper Oper zu ›Nabucco‹ tragen soll, einen Anzug oder ein langes Kleid?«
»Du stellst mir aber schwierige Fragen, worin fühlst du dich denn am wohlsten?«
Das war ja wieder eine typische Stella-Antwort, ich zeige dir den Weg und du gehst ihn dann ganz allein.
»Stella! Nun sag schon, was Langes und sexy oder kühl und feminin?«
»Ach, Süße, mach dich richtig schick und lass doch mal ausnahmsweise die Frau in dir raus, also lang und sexy!«
»Danke! Viel Spaß beim Arbeiten, ich muss jetzt erst mal sehen, ob ich überhaupt noch halterlose Strümpfe habe.« Kuss, und das Telefonat war beendet. Nachher im Auto würde sie ihr eine liebe SMS schreiben, aber jetzt
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