Die Zusammenkunft
musste sie sich beeilen.
R obert stand überpünktlich mit seinem schwarzen Audi TT vor der Haustür. Als er klingelte, empfingen ihn Omma und Herby, der West White Highland Terrier; Sirona stand noch in der Küche, um den letzten Schluck Kaffee zu trinken. Die Begrüßung durch Herby war wie immer stürmisch. Robert strahlte Sirona an, seine runde Nickelbrille hatte er ausgetauscht gegen eine dunkle, viel zu große Panoramasonnenbrille.
»O. K., Rob, ich bin so weit, nimmst du bitte meinen Koffer?«
Das hätte sie wirklich nicht fragen müssen. Bevor sie es ausgesprochen hatte, hatte er den Griff des Trollies längst in den Händen. Sie band sich noch ein hellgelbes, leuchtendes Kopftuch von Hermès um, damit ihre mühevoll geföhnte Kurzhaarfrisur nicht dem Fahrtwind zum Opfer fiel, dann verließen sie nach einem letzten »Auf Wiedersehen!« das Haus.
Als sie losfuhren, lehnte sich Sirona zurück, schloss für einen Moment die Augen und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht. In fünf Stunden wären sie in Dresden, vorausgesetzt, es gab keinen Stau. Robert schien zu sp üren, dass sie müde war, legte eine Verdi-CD ein und schwieg; er konnte ja so angenehm sein. Sirona sah ihn an und lächelte. Dann schrieb sie noch eine liebe Danksagung an ihre Freundin Stella und schloss wieder die Augen. Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Sie nahm die Sonnenbrille ab und sah zu Rob hinüber, der grinste.
»Na, Prinzessin, hast du schön geträumt?«
Sie dachte an den Traum vom vorherigen Abend und ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. »Wie kommst du darauf, dass ich geträumt habe?«
Er zuckte mit den Schultern und meinte nur: »Du sahst so glücklich und friedlich aus.«
Sie verließen die Autobahn und legten die letzten Kilometer nach Dresden auf der Bundesstraße zurück. »Ich habe uns einen Tisch in einem Restaurant gegenüber der Oper reservieren lassen, ich dachte, du willst eventuell vorher noch etwas essen. Den Wagen lassen wir am Hotel, wir nehmen ein Taxi.«
Sie nickte und spürte tatsächlich ein kleines Loch in ihrem Magen.
Sie trafen pünktlich um halb sechs im Hotel Suitess ein und als sie um viertel nach sechs die Hoteltreppe hinunterschritt, fielen Robert fast die Augen aus dem Kopf. Ach, er musste immer übertreiben. Sie wusste doch genau, dass sie einige Kilos zu viel auf den Hüften trug. Aber sie wusste auch, dass das enge, schwarze lange Kleid, für das sie sich nach einigem Hin und Her entschieden hatte, nicht nur ihren Kurven schmeichelte, sondern auch, dass das recht tiefsitzende Dekolleté gekonnt von ihrem kleinen Bauch ablenkte. Das war auch der Grund, warum sie es damals sofort gekauft hatte. Der knallrote Lippenstift und die Smokey Eyes taten ein Übriges.
Sie aßen Fisch und Meeresfrüchte, wobei sie den Fisch und er die Muscheln nahm. Vom Fenster aus konnte man die angestrahlte Fassade der Semper Oper sehen. Sie wirkte bombastisch, bei ihrem Anblick musste man ei nfach das Gefühl haben, in ein anderes, längst vergangenes Jahrhundert versetzt worden zu sein. Robert hatte gerade gezahlt und sie nahm den letzten Schluck ihres Espressos, als sie einen Stich durch ihre Brust verspürte. Sie zuckte unmerklich zusammen und biss sich auf die Zähne. Ihr letzter Besuch beim Arzt hatte die immer gleiche Diagnose hervorgebracht: stark, trainiert und kerngesund. Sie machte sich also keine Sorgen, sie ärgerte sich nur, weil sie den Schmerz einfach nicht zuordnen konnte. Warum jetzt, warum nicht heute Morgen beim Aufstehen?
Vor der Oper fuhren die schweren, schwarzen Limo usinen vor, ließen die Damen aussteigen, während die Männer einen Parkplatz in der Tiefgarage suchten. Manchmal hatte es seine Vorteile, eine Frau zu sein, auch wenn sie sich in Grenzen hielten, dachte Sirona. Sie schlenderten über die Straße, betraten die Oper, gaben an der Garderobe ihre Mäntel ab und ließen sich in die Mittelloge führen. Wow, wenn das der Chef gewusst hätte, wer weiß, ob er die Karten dann noch hergegeben hätte! Sie war noch nie in der Semper Oper gewesen, hatte noch nie in einer so luxuriösen Loge gesessen. Das war ja fast schöner als im besten Sissi-Film.
Sie bekamen die ersten beiden Sitze direkt an der Brüstung und konnten das gesamte Parkett überblicken. Vereinzelt konnte sie auch einen Blick in die daneben liegenden Logen werfen. Robert organisierte noch ein Fernglas, wie reizend er doch war. Sie fing an sich zu entspannen, als wieder dieser Schmerz durch ihre Brust fuhr, verdammt.
Weitere Kostenlose Bücher