Die Zusammenkunft
Dann erfolgte der übliche Cut zwischen Bauch und Kopf, den sie immer erlebte, wenn Kim sich verletzte und schnell reagiert werden musste. Der Bauch wurde abgeschaltet und nur der reine Verstand lenkte ihren Körper.
Sie ging in das Bad, stellte die Dusche an, zog sich aus und stellte sich unter den heißen Strahl. Mit den Händen stützte sie sich an den Wänden ab, dann griff sie nach dem hoteleigenen Duschschaum und begann sich einzuseifen. Nachdem sie das vierte oder fünfte Mal den Schaum von ihrem Köper hatte laufen lassen, stellte sie die Dusche ab.
Sie wickelte sich ein Handtuch um die nassen Haare und ein zweites um den Körper, trocknete sich ab und ging wieder zum Spiegel. Das Hämatom im Gesicht konnte sie überschminken, die Hände vorübergehend in Lederhandschuhen verstecken. Unter einer Hose könnte man die verschrammten Oberschenkel und Schienbeine verbergen. Sie ging vom Spiegel hinüber zum Bett, auf dem ihr Handy lag und wählte Roberts Nummer.
»Du erinnerst dich? Dieser verdammte Fisch, ich hab gekotzt wie ein Reiher, dabei bin ich von der blöden Kl obrille abgerutscht und mit dem Gesicht aufgeschlagen. Frag nicht, ich sehe echt übel aus, aber egal, ich versuche jetzt das Beste daraus zu machen und komme etwas später. Versuch bitte, ein paar Zwiebäcke für mich und meinen geschundenen Magen zu organisieren, und warte, bis ich dich abhole.«
Sie legte das Handy auf den Nachttisch und wollte noch einmal ihr Gesicht aus der Nähe genauer betrachten, als ihr Blick durch den kleinen Schminkspiegel auf den großen Wandspiegel hinter ihr und damit auf ihren R ücken fiel. Tränen schossen ihr in die Augen. Mein Gott, sie sah aus, als wenn eine Herde Elefanten über ihren Rücken getrampelt wäre. Ihr Traum kam ihr wieder in den Sinn. Nein! Nein, nicht daran denken! Jetzt war es wichtiger, so schnell wie möglich hier rauszukommen.
Als sie in Roberts Auto stieg, spürte sie seine Blicke. Sie hatte das Hämatom nicht ganz mit dem Make-up a bdecken können und hatte bewusst den zu hellen Puder benutzt, damit man ihre Magenverstimmung noch besser von ihrer Gesichtsfarbe ablesen konnte. Statt wie sonst einen dunklen Lippenstift aufzutragen, hatte sie nur hell schimmernden Labello gewählt. Die Augen versteckte sie hinter einer großen Sonnenbrille, den Kopf unter ihrem Hermès-Kopftuch. Sie freute sich schon auf den Fahrtwind, der ihre rechte Gesichtshälfte kühlen würde.
»Sirona, du siehst echt scheiße aus!«, sagte Robert, als er sich neben ihr auf dem Fahrersitz niederließ.
Langsam drehte sie den Kopf, sah ihn an und legte ihm eine Hand auf den Schenkel. »Robert, wir sind doch Freunde, oder?«
Er nickte.
»Dann sag bitte jetzt einfach nichts mehr, frag nicht, sondern bring mich nur nach Hause. Das versaute Wochenende werde ich wiedergutmachen, versprochen.« Mit diesen Worten lehnte sie sich im Sitz zurück, schloss die Augen und er fuhr los.
Sie schaffte es genau zwei Minuten lang, ihren Geist reglos zu halten, dann schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf. Wer war der Mann? Warum hatte sie Angst vor ihm? Was bedeutete diese Gewissheit, dass er sie getötet hatte? Verlor sie jetzt den Verstand? Sie lebte doch ! Es ging ihr zwar bescheiden, aber sie saß neben Robert im Auto und lebte, daran gab es keinen Zweifel. Sie hatte ihn instinktiv angegriffen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, auch nur ein Wort zu sagen. Hatte sie überreagiert? Nein, es war alles seine Schuld! Er hatte den ersten Schritt nach vorne gemacht. Sie hatte zwar als Erste zugeschlagen, zweimal sogar und er hatte sich nur verteidigt, aber er hatte sie erschreckt und sie hatte die Gefahr, die von ihm ausging, schon in der Oper gespürt.
Ihre Gedanken rasten. Blödsinn, er war ein ganz no rmaler Mann, der sie vielleicht nur beobachtet hatte, wie sie zu dem künstlich angelegten Wäldchen gelaufen war und wie sie sich dort heruntergebeugt hatte, um Luft zu holen, und er hatte vielleicht nur helfen wollen?
Nein, sie hatte genau gesehen, wie er ihr ein Messer in das Herz gestoßen hatte. Sei doch gescheit! Ein Messer ins Herz, du lebst und bist nicht verletzt. Trotzdem, da war etwas. Ein Gefühl, Überlebensinstinkt, Angst … nein, sie überlegte angestrengt.
Es war mehr gewesen als Instinkt. So fühlte sich nur blinde, unbezwingbare Wut an. Hässliche, unkontrollierte Wut, die gerade wieder von vorne losging. Er hatte es gewagt, sie zu erschrecken, ihr den Mund zuzuhalten, sie anzusehen! Er hatte es gewagt,
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