Die Zusammenkunft
Gesicht.
Er brüllte auf, presste seine Hand auf die Nase. Sie versuchte, sich auf den Bauch zu drehen und unter ihm hervorzukriechen. Denn eins war sicher, sie hatte ihn ganz bestimmt nicht freundlicher gestimmt und seine Wut war greifbar.
Sie kam nicht weit, er warf sie zurück auf den Rücken, stützte sich auf ihre Unterarme und kam mit seinem blutverschmierten Gesicht bedrohlich nahe an ihr eigenes. Sein Blick versenkte sich in ihre Augen, ein Knurren entwich seiner Kehle und dann sah sie Blitze und Sterne.
Es war ihr, als ob sie über eine Wiese liefe, auf einen Mann zu, einen Krieger mit schwerem Schild auf der Brust. Der Mann saß erst wie angewurzelt an einen Stein gelehnt, dann stand er plötzlich vor ihr. Sie erhob ein Schwert gegen ihn, zerschmetterte seine linke Seite, dann stach er zu, mitten in ihr Herz. Sie kippte rechts an ihm vorbei auf die nach oben gerichtete Schneide ihres eigenen Schwertes, und das Letzte, was sie sah, waren seine Augen, tiefe Abgründe der Boshaftigkeit, von einem sonderbaren Dunkelblau.
»Du Mistkerl hast mich getötet …«, keuchte sie, »… du hast mich getötet!« Sie wollte einen endlosen Schrei von sich geben, als er ihr mit der Hand den Mund ve rschloss. Das Letzte, was sie noch sah, war die Angst in seinen Augen, dann verlor sie das Bewusstsein.
E in Telefon klingelte dicht an ihrem Ohr; es war nicht ihres, ihres klingelte anders. Dann fühlte sie fremde Bettwäsche unter sich, fremde Kissen an ihrem Kopf, eine kuschlige Decke über sich. Die Erinnerung kam wieder, Dresden, Verdi … dieser verdammte Traum. Sie griff nach dem Telefonhörer.
»Hey, wie sieht es aus? In dreißig Minuten unten beim Frühstück?« Robert klang schon wieder so quietschfidel.
»Wie spät ist es? Muss noch früh sein, bin noch nicht richtig wach!«
»Hör mal, Sirona, gleich ist es zehn Uhr, und Frü hstück gibt es nur bis elf, also raus aus den Federn!« Er legte auf, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Sie drehte sich mit geschlossenen Augen auf den R ücken und stechende Kopfschmerzen drangen in ihr Bewusstsein. So viel hatte sie doch gar nicht getrunken, verdammter Mist.
Sie öffnete die Augen und starrte an die Decke. Ihr rechtes Auge schmerzte, als wenn sie sich gestoßen hätte. Sie hob die Hand, um sich über die Schläfe zu fahren, und erstarrte in der Bewegung: Dreck, Blut, ein schwarzer Ärmel, abgebrochene Fingernägel. Sie hielt die Luft an, starrte ihre Hand an und sah dann ganz langsam an ihrem Körper herab. Sie trug noch immer das Kleid, welches sie gestern in der Oper getragen hatte.
Ihr Puls beschleunigte sich, sie war plötzlich hellwach, die Kopfschmerzen spürte sie nicht mehr. Sie schnellte hoch und erfasste mit einem raschen Blick den ganzen Raum. Er war leer, ihre Schuhe standen vor dem geschlossenen Fenster, der Koffer lag auf dem Tisch vor dem Bett.
Dann besah sie ihre Hände. Unter ihren Fingernägeln klebte Erde, die Knöchel waren blutverkrustet. Langsam ließ sie die Füße aus dem Bett gleiten und begann, sie vorsichtig mit ihrem eigenen Gewicht zu beschweren. Nichts gebrochen, dachte sie nur, alles noch heil. Bis auf das Kleid. Es war zerrissen, die ganze rechte Seite hing wie ein Fetzen von ihr herab. Auch an ihren Oberschenkeln klebte Erde. Ein halterloser Strumpf hatte sich über ihrem Knie verfangen, kaputt waren sie beide.
Sie fasste sich unwillkürlich zwischen die Schenkel. Der String war genau da, wo er sein sollte, und bei g enauerem Abtasten spürte sie keine Verletzungen.
Erleichtert sackte sie in sich zusammen. Dann versuc hte sie aufzustehen, was ihr problemlos gelang, aber der Rücken schmerzte und ihre rechte Gesichtshälfte auch.
Langsam tastete sie sich zum Bad vor und blieb an dem großen Spiegel vor der Badezimmertür wie angewu rzelt stehen. Das konnte nicht sein … Sie war im ganzen Gesicht rot und dunkel, überall an ihr klebte Blut, getrocknetes Blut: in ihren blonden Haaren, auf ihrem Gesicht, auf ihrem Hals, in ihren Wimpern. Das Kleid war nur noch ein Fetzen und wenn sie sich nicht irrte, dann hatte sie einen fürchterlichen Bluterguss an der rechten Schläfe. Ihre Unterarme waren zerkratzt und ihre Hände sahen aus, als wenn sie sich meterweit durch das Erdreich gebuddelt hätten. An den Stellen, an denen die Erde nicht ihren Körper bedeckte, war es wieder getrocknetes Blut. Aber verdammt, sie konnte keine offenen Wunden entdecken, wo war sie bloß verletzt?
Ihr Atem geriet außer Kontrolle, ihr Blickfeld ve rschwamm.
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