Die Zusammenkunft
Wand geredet. Seit Dresden spürte sie auf der Arbeit plötzlich immer stärker das Bedürfnis, ihren Gesprächspartner, über den sie sich geärgert hatte, zu greifen und zu bezwingen. Buchstäblich. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie in Dresden zum ersten Mal in ihrem Leben einem Mann gegenüber handgreiflich geworden war? Sie hatte jemanden verletzt, der ihr körperlich überlegen war – oder hätte sein sollen. Hatte das irgendwelche Dämme in ihr brechen lassen? Vielleicht wurde es Zeit, den guten alten Sandsack wieder aufzuhängen und sich daran abzureagieren? Oder endlich mal wieder Holz zu spalten? Sirona hoffte inständig, dass diese beunruhigende Veränderung nicht von Dauer war.
Inzwischen war es Ende Mai und der Sommer rückte näher; das Wetter war wunderbar. Normalerweise legte sie keinen Wert auf eine Mittagspause, aber heute schmerzte ihre Hüfte wieder und das ständige Sitzen machte sie nervös. Also stand sie auf und wollte in aller Ruhe einmal um das Firmengebäude laufen. Vielleicht würde das auch diese eigenartige, aggressive Nervosität mildern, die entgegen aller Hoffnungen nicht weggega ngen sondern stärker geworden war. Sirona schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
Zuerst sah sie Lora, dann Rüdiger. Ihn mochte sie nicht, seine Borniertheit stieß sie ab. Es war ganz offe nsichtlich, dass er Lora bedrängte, die locker seine Tochter hätte sein können. Lora zuckte zurück und Sirona schnappte die Worte auf: »… das kannst du ganz schnell bereuen, denn niemand hier wird so einer kleinen, aufgedonnerten Schlampe wie dir glauben.« Sirona glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Die beiden gingen dann rasch auseinander, als sie sich ihnen näherte, und jeder verschwand in eine andere Richtung. Sirona würde Lora nicht darauf ansprechen, Sie hoffte aber, dass Lora sich an sie wenden würde, wenn sie Hilfe benötigte.
Als sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, saß Lora schon wieder an ihrem Schreibtisch. Sie sah blass aus und sah nicht auf, als Sirona das Büro betrat.
»Hey«, sagte sie, »alles startklar zur zweiten Runde?«
Lora nickte und arbeitete still vor sich hin.
In den nächsten Tagen konnte sie bei Lora einen gewissen Anstieg von Nervosität nicht mehr ignorieren. »Lora, was ist los? Du wirkst nervös und nicht ganz bei der Sache; nicht dass ich die Qualität deiner Arbeit bemängeln will, du bist es, die mir zurzeit nicht gefällt.«
Lora sah entsetzt zu ihr auf. »Was habe ich gemacht?«
»Du hast schon lange nicht mehr gelächelt und keine Witze mehr gerissen.«
Lora sah Sirona lange an, dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist nichts!«
»Lora, lüg mich nicht an! Ich habe dich vor ein paar Tagen draußen mit Rüdiger gesehen!«
Aus Loras Gesicht wich alle Farbe und sie blickte S irona furchtsam an. »Ich darf niemandem etwas sagen, sonst macht er mich fertig und ich brauche den Job.«
Sirona stand langsam auf und ging auf sie zu. »Was sollst du niemandem sagen?« Fast erschrak sie vor sich selbst. Ihre Stimme hatte einen gefährlich knurrenden Unterton bekommen und ihr Blick schien Lora zu signal isieren, dass jetzt der Augenblick für Offenheit gekommen war. Es dauerte keine drei Minuten, bis Lora einknickte und ihr alles gestand.
Danach gab es kein Halten mehr für Sirona. Die A ggressionen, die sie seit dem Wochenende in Dresden mit etwas Mühe aber immerhin doch ganz gut unter Kontrolle gehalten hatte, bahnten sich mit der Gewalt eines Vulkanausbruchs ihren Weg und Sirona rannte los.
Sie hatte keine Gewalt mehr über ihre Instinkte, ihre Reflexe waren wie die eines wilden Tieres. Sie riss die Tür der Nachbarabteilung auf. Es war ein Großraumbüro mit sechs männlichen Kollegen, Rüdigers Schreibtisch stand hinten links. Die Tür knallte gegen die Wand, alle Köpfe schossen hoch. Da beugte sie sich aber bereits über Rüdiger, ihre Hand an seiner Kehle. Sie zog ihn hoch, bis nur noch seine Zehenspitzen den Boden berührten. Ihre Fingernägel bohrten sich in seinen Hals, sie presste ihn mit ihrem Körpergewicht an die Wand. Mit ihrer freien Hand ergriff sie seine Hoden, die viel zu klein in seiner Anzughose baumelten.
Kein Laut drang aus seiner Kehle, viel zu fest drückte sie seinen Kehlkopf zusammen. Dann schob sie ihren Mund ganz dicht an sein Ohr. »Sie steht unter meinem Schutz und wage es nicht, noch einmal in ihre Nähe zu kommen, wenn du in Zukunft nicht drei Oktaven höher singen willst. Hast du mich
Weitere Kostenlose Bücher