Die Zwanziger Jahre (German Edition)
galt es nun, eine neue Bundestrainerin zu finden. Es gab aus meiner Sicht und der unseres Generalsekretärs Horst R. Schmidt nur eine geeignete Nachfolgerin: Silvia Neid. Doch die zögerte. Nicht, weil sie sich diese Aufgabe nicht zutraute, sondern weil sie ahnte, wie sich der Frauenfußball verändern würde. Das öffentliche Interesse wuchs, neben der fachlichen Leistung wurde der Umgang mit den Medien immer wichtiger. Bescheiden, wie gerade erfolgreiche Frauen häufig sind, fragte sie sich, ob sie dieser Aufgabe gewachsen sei. Sie unterschätzte, welch großartiges auch kommunikatives Potenzial in ihr schlummert. Ich wusste, dass sie eine glänzende Trainerin ist, aber auch, dass sie ein »Fernsehgesicht« hat. Silvia Neid auf der Trainerbank: schick angezogen, hell lachend, im nächsten Moment wieder tief ernst und manchmal sogar böse dreinschauend – man kann in ihrem Gesicht den Verlauf des Spiels lesen. Letztlich habe ich sie überzeugt, sie hat das Amt übernommen und sich mit Ulrike Ballweg auch die richtige Kotrainerin geholt. Die beiden waren und sind ein erfolgreiches Gespann des deutschen Frauenfußballs.
Kampf an der Platte: mit Nationalspielerin Anja Mittag beim Tischtennis (©IMAGO).
Leichtfertigerweise habe ich Silvia Neid versprochen, bei ihrem ersten Länderspiel als Bundestrainerin dabei zu sein. Dieses erste Länderspiel war nun aber ausgerechnet in Kanada, was mir eine strapaziöse Kurzreise bescherte. Natürlich haben wir auch dort mit 3:1 gewonnen, und ich habe mein Wort gehalten.
Das emotionalste, spannendste und erfolgreichste Turnier meines Präsidentenlebens hat mir die Frauen- WM 2007 in China beschert. Die Wochen in China waren unvergesslich schön, und das hatte besondere Gründe. Eigentlich sollte unser Vizepräsident Engelbert Nelle die Mannschaft begleiten, doch er wurde krank, und auch Hannelore Ratzeburg war beruflich unabkömmlich. Der DFB musste aber zeigen, wie ernst er seine Unterstützung für den Frauenfußball nahm. Deshalb übernahm ich die Delegationsleitung, obwohl das zwischen Männer- WM 2006 und dem anstehenden Bundestag mit meiner Wiederwahl eine zusätzliche Strapaze bedeutete. Meine Bedenken erwiesen sich als unbegründet; es war einfach schön, in China dabei zu sein, in dieser unverkrampften Atmosphäre ohne Eitelkeiten, mit einer konzentrierten Trainerin und nicht zu vielen Journalisten – ich fühlte mich sofort heimisch.
Die WM begann mit einem überragenden 11:0-Sieg gegen Argentinien, der die Zweiklassengesellschaft im internationalen Frauenfußball zu unterstreichen schien. Doch dann ging es gegen die abwehrstarken Engländerinnen, und wir kamen über ein 0:0 nicht hinaus. Vor dem dritten Spiel gegen Japan machten unaufschiebbare Termine in Deutschland meine Abreise zwingend, aber ich versprach Silvia Neid, im Falle eines Weiterkommens nach China zurückzukehren. Die Mannschaft besiegte Japan mit 2:0, und da eine Reihe von repräsentativen Anlässen in China anstanden und ich erste Kontakte für eine mögliche WM 2011 in Deutschland knüpfen wollte, begleiteten mich meine Frau und meine Assistentin Antje Wilde auf dieser Reise.
Wir wussten nicht, wie lange wir bleiben würden, denn das Turnier konnte bei einer Niederlage ja sehr schnell beendet sein. Aber mein Vertrauen in diese Mannschaft wuchs von Tag zu Tag, ich spürte ihre Konzentration und ihr Engagement; Fleiß und Können waren sowieso über jeden Zweifel erhaben. Ich traf in China eine Reihe von Gesprächspartnern, natürlich haben wir auch vom Land, insbesondere von Schanghai, einiges gesehen und schöne Abende mit der kleinen Fangruppe erlebt, zu der viele Eltern und Verwandte der Spielerinnen gehörten. Dies ist meine Welt. Ich tausche sie nicht gegen ein Bankett nach dem Champions-League-Finale der Männer ein.
Unvergesslich war unser Taxifahrer. Wenn man dem jungen Mann ins Gesicht schaute, hatte man schon das Gefühl, dass die Sonne aufging. Einmal geriet er in eine unangenehme Polizeikontrolle, wir spürten, dass etwas nicht in Ordnung war. Später im Hotel erfuhren wir durch den Dolmetscher, dass er eine für seine Verhältnisse empfindliche Strafe zahlen musste. Natürlich ersetzten wir ihm dieses Geld. Am nächsten Tag überreichte er meiner Frau und mir einen chinesischen Talisman als Dank.
Als die Mannschaft dann tatsächlich das Endspiel gegen Brasilien erreichte, lag der Talisman von der ersten Minute an fest in meiner rechten Hand. Schon die Fahrt ins Stadion war ein
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