Die Zwanziger Jahre (German Edition)
besonderes Erlebnis. Unsere Spielerinnen im Bus waren voll konzentriert, ruhig und angespannt zugleich. Daneben stand der Bus der Brasilianerinnen, die tanzend und singend einstiegen und keine Sekunde ruhig auf ihren Plätzen saßen, als glaubten sie den Sieg schon in der Tasche zu haben. Doch es kam anders.
Nach einer torlosen ersten Halbzeit erzielte Birgit Prinz wenige Minuten nach Wiederbeginn das 1:0, und zehn Minuten später gab’s Elfmeter für Brasilien. Der Talisman, jetzt in beiden Händen, gab sein Bestes und tatsächlich, Nadine Angerer, unsere »Natze«, die während der gesamten WM ohne ein einziges Gegentor blieb, wehrte auch den Schuss von Marta ab. Vier Minuten vor dem Ende machte Simone Laudehr das 2:0, und dann brachen alle Dämme.
Zunächst ließen die Mädels mit den deutschen Fahnen auf dem Platz ihrer Begeisterung Lauf. Und dann ging es in die Kabine. Nicht nur meine Frau und Antje Wilde durften mit hinein, sondern auch MV , der als Mitglied des Uefa -Exekutivkomitees zum Endspiel angereist war, und ich. Die Spielerinnen, noch in durchnässter Sportkleidung, der Trainerstab, das Team hinter dem Team, wir alle stießen mit einem Glas Sekt auf diesen tollen Erfolg an.
Die Siegesfeier im Hotel wurde zu einem der schönsten Abende, den meine Frau und ich im deutschen Fußball erleben durften. Vorher bat die Bundestrainerin noch in den Besprechungsraum des Hotels. Ich war überrascht – was gab es denn jetzt noch zu sagen? Wen wollte sie loben, wen tadeln? Ich sprach einige kurze Worte des Dankes, mehr hätte ich gar nicht gekonnt, denn meine Stimme war belegt vor Rührung und Freude. Dann ergriff Silvia Neid das Wort. Wenn ich sie nicht schon vorher sehr verehrt hätte, gehörte sie für mich spätestens nach dieser Ansprache zu den ganz großen Persönlichkeiten des deutschen Fußballs. Sie war konzentriert wie gewohnt, ließ nicht dem Überschwang der Gefühle Lauf, sondern fand für jede und jeden, der an diesem Turnier beteiligt war, ein paar treffende und freundliche Worte – für die Begleiter vom DFB , die bei der Organisation und bei der Kommunikation geholfen hatten, für den Trainerstab, die medizinische Abteilung und für jede einzelne Spielerin. Obwohl eigentlich allen zum Jubeln zumute war, hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Anschließend zog die ganze Mannschaft mit ihrem Anhang in den obersten Stock des Hotels, um den Titel zu feiern. Auch die kleine Gruppe der Journalisten war dabei, was bei den Männern heutzutage schwer vorstellbar wäre. Nichts war organisiert, gefeiert wurde eher in kleinem Rahmen, aber die Begeisterung war riesengroß. Bei dieser Gelegenheit habe ich als eingeschworener Nicht-Tänzer auch den einzigen Tanz meines Lebens absolviert, bei dem ich Silvia Neid in einem Arm hielt und den WM -Pokal im anderen. Dass ich auf dem entsprechenden Foto, das von diesem Ereignis kursiert, eine einigermaßen gute Figur mache, liegt daran, dass die Szene natürlich gestellt war.
Ich habe diese Mannschaft auch zum Titel bei der Europameisterschaft 2009 in Finnland begleiten dürfen. Da war ich allerdings nicht der Leiter der Delegation und konnte nur die ganz wichtigen Spiele vor Ort verfolgen. Doch vor allem das grandiose 6:2 im Endspiel gegen England habe ich noch vor Augen. Die Mannschaft spielte schnell, offensiv und leidenschaftlich, ich spürte mit jedem Schritt, den sie auf dem Platz taten, mit welcher Begeisterung die Spielerinnen bei der Sache waren. Der EM -Titel war hoch verdient, und er hat die Euphorie für die WM 2011 auch zu Hause mächtig angefacht. Die Einschaltquoten im Fernsehen waren beeindruckend, um die zehn Millionen Menschen sahen das Finale, und ihre Erwartungshaltung war eindeutig: Im eigenen Land zählt nur der Titel, und eigentlich war schon klar, dass nur wir ihn gewinnen konnten.
Mit meiner Frau bin ich mir einig: Die Spielerinnen haben mit ihrer Ehrlichkeit, ihrer Korrektheit, ihrer Leistungsbereitschaft und ihrem Können die Unterstützung des deutschen Fußballs genauso verdient wie die Männer. Daran wird sich auch nichts mehr ändern. Aus meiner wohlwollenden Anerkennung für den Frauenfußball ist eine sehr persönliche Sympathie und Leidenschaft geworden, die mich auch nach dem Ende meiner Amtszeit als DFB -Präsident nicht mehr loslassen wird.
Tänzchen mit der Bundestrainerin: nach dem WM-Triumph 2007 (©IMAGO).
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