Die Zwanziger Jahre (German Edition)
und Katrin Kunert von der Linken haben mich auf dieser Reise besonders beeindruckt. Wir sammelten bedrückende Erfahrungen in einem Land, in dem wir das Gefühl hatten, dass die einfachen Menschen, die Bürger, nichts gelten, sondern nur Funktionäre und Apparatschiks. Ob das noch lange gut geht, möchte ich bezweifeln. Wir wurden in einem stattlichen Regierungsauto über leere Prachtstraßen kutschiert und in Gästehäuser gebracht, wo ich in einer riesigen Suite mit fünf Zimmern übernachtete. Ich stellte mir vor, wie aufwendig es wohl war, alle diese Räume zu verwanzen.
Bei den politischen Gesprächen mit Regierung und Partei überließ ich Claudia Roth das Wort, und die Grünen-Chefin lederte auch gleich los und stellte unangenehme Fragen an die Nordkoreaner über das Verhältnis zu Südkorea und zur Situation der Menschenrechte im Land. Die entsprechenden Minister beantworteten diese kritischen Fragen nicht. Vielmehr lasen sie von ihren Notizblöcken vorbereitete Statements ab über ihr großartiges Volk und dessen uneingeschränkte Liebe zu seinem Führer. Sie versicherten uns, im nächsten Jahr, also2012 , werde Nordkorea unaufhaltsam zur ersten Weltmacht aufsteigen.
Trotz dieser bedrückenden und teils gespenstischen Atmosphäre im Land gelang es Steffi Jones auch dort, wenigstens den Fußballerinnen auf dem Trainingsplatz das eine oder andere Lächeln zu entlocken. Das werteten wir schon als Erfolg. Wir waren alle froh, als wir das Land wieder verlassen konnten. Trotzdem möchte ich die Erfahrungen dieser vier Tage nicht missen. Ich fragte mich aber schon, wie weit die Völker verbindende Funktion des Sports unter solchen Umständen reichen kann. Auch wenn unser Besuch wichtig war, bleibe ich skeptisch. Wir dürfen uns nicht anmaßen, zu glauben, dass wir auch nur einen Tick an positiver Veränderung angestoßen haben. Schließlich sind die Nordkoreanerinnen bei der WM dann auch aufgefallen durch das, was man ihnen vorher zugetraut hatte. Einige ihrer Spielerinnen wurden wegen Dopings suspendiert, sportlich blieben ihre Darbietungen überschaubar, und außerhalb des Fußballplatzes schotteten sie sich ab, während ihre Funktionäre durch kuriose Statements für Verwirrung sorgten.
Dass es uns nach der WM gelungen ist, Steffi Jones als Direktorin für Frauenfußball beim DFB einzusetzen, zeigt, dass wir über solche Ereignisse hinaus auch an die Zukunft denken. Wir wissen alle sehr genau, dass der Mädchen- und Frauenfußball nicht am Ende seiner Entwicklung ist, sondern sich neben dem populären und konfliktträchtigen Männerfußball behutsam und doch intensiv weiterentwickeln muss. Es ist nach wie vor kein Selbstläufer.
Alle Vorbereitungsmaßnahmen für die WM 2011 liefen also prächtig. Unsere Landesverbände haben gezeigt, wie leistungsfähig sie sind. Die Stadioneigner und die Ausrichterstädte haben sich vorbildlich eingebracht. Es war alles bestens vorbereitet.
Und das Turnier wurde ein toller Erfolg. Nur leider nicht aus sportlicher Sicht, denn unsere Mannschaft zeigte trotz der intensiven Vorbereitung im Ernstfall nicht die Leistungen, die wir gewohnt waren und die wir uns erhofft hatten. Mag sein, dass der ungewohnte Druck die Spielerinnen lähmte; schließlich hatten sie noch nie so sehr im grellen Licht der Öffentlichkeit gestanden. Schon in den Vorrundenspielen ruckelte es immer wieder, und im Viertelfinale gegen Japan ereilte das Gastgeberteam das Aus – nicht mal unverdient.
Es war nicht überraschend, dass es hinterher Diskussionen gab über die Bundestrainerin, ihre Aufstellung, ihre Taktik, ihre Auswechslungen, und auch in der Mannschaft grummelte es nach dem enttäuschenden Ausscheiden. So ist das nun mal, wenn die Öffentlichkeit auf den Erfolg fixiert ist und der dann ausbleibt. Es ging immerhin um die Verteidigung eines Weltmeistertitels, und da ist auch Kritik erlaubt. Doch für mich war klar, dass diese sportliche Enttäuschung kein Grund war, der Erfolgstrainerin Silvia Neid nicht weiter zu vertrauen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie auch in den nächsten Jahren die Entwicklung im Spitzenbereich des deutschen Frauenfußballs bestimmen und auch wieder die Erfolge feiern wird, an die wir uns vielleicht schon ein Stück zu sehr gewöhnt haben.
Trotzdem war ich über den Ausgang des Turniers alles andere als unglücklich. Wenn schon Deutschland nicht gewinnen konnte, dann war Japan unser heimlicher Favorit. Nicht nur, weil die Japanerinnen während des gesamten
Weitere Kostenlose Bücher