Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Fußball-Machos vorstellen. Vielleicht haben ihn auch nur die enormen Einschaltquoten bei der Frauen- WM geärgert, Werte in zweistelliger Millionenhöhe, von denen selbst das Männerteam des großen FC Bayern München nur träumen kann.
Der Weltmeistertitel von 2003 war auch ein Triumph für meinen Freund Engelbert Nelle, der als DFB -Vizepräsident Delegationsleiter in den USA war. Er und der leider schon lange verstorbene Paul Rasche haben in schwierigen Zeiten den Frauenfußball gefördert. Engelbert Nelle hat die Mannschaft auf dem Weg ins Finale begleitet und tatkräftig unterstützt. Ein wenig traurig war er, als zum Endspiel der DFB -Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder einflog und es sich nicht nehmen ließ, die Medaillen und den Pokal zu überreichen. Der leidenschaftlich engagierte Engelbert Nelle stand nur in der zweiten Reihe.
Den Aufwind nach der WM nutzten die Frauen, um die Strukturen ihrer Sportart zu verbessern. Heike Ullrich, hauptamtliche Abteilungsleiterin beim DFB , entwickelte ein Mädchenfußballkonzept. Ich war sofort bereit, diese Initiative zu unterstützen, und auch Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder zeigte sich aufgeschlossen. MV war sicher nicht der Kreative in diesem Bereich, aber er schenkte dem Frauenfußball zumindest seine ehrliche Aufmerksamkeit und hat alle Initiativen unterstützt. Das Konzept, das damals auf den Weg gebracht wurde, hat in den folgenden Jahren entscheidend dazu beigetragen, dass der Mädchenfußball heute eine stabile Grundlage bildet.
Bis zum Mai 2004 war ich Freund und Förderer des Frauenfußballs, aber noch kein Fan. Fan sein heißt, mit einer Mannschaft zu leben und zu leiden. Fan bin ich von Borussia Mönchengladbach, seit sich die Fohlenelf der Siebzigerjahre um Günter Netzer, Jupp Heynckes und Berti Vogts in mein Herz gespielt hat. Diese große Fußball-Liebe hat bis zum heutigen Tag gehalten. Fan bin ich natürlich auch von meinem Heimatverein VfL Altendiez, und seit Jahrzehnten von der Männer-Nationalmannschaft. Aber Fan eines Frauenklubs, das war ich noch nicht – bis Anja Mittag kam und mit ihrem Auftritt beim Pokalfinale 2004 mein Fußballerherz im Sturm eroberte.
Ich war an diesem 29. Mai 2004 nicht nach Berlin gefahren, wo die Endspiele der Frauen und Männer damals noch in einer Doppelveranstaltung ausgetragen wurden. Meine Gladbacher Borussen waren im Halbfinale gegen den Zweitligisten Alemannia Aachen gescheitert, weil ihnen der Schiedsrichter – es war ausgerechnet mein alter Freund Edgar Steinborn aus dem Rheinland – kurz vor Schluss einen eindeutigen Handelfmeter versagte. Nun können natürlich Schiedsrichter Fehler machen, tun sie auch immer wieder, und ich habe sie als DFB -Präsident oft verteidigt. Aber als Fußballfan sieht man das anders. Meine Borussia war draußen, und ich blieb zu Hause und schaute mir das Pokalendspiel vor dem Fernseher an. Was blieb mir anderes übrig, um meinen Protest zum Ausdruck zu bringen?
Ich nutzte die Gelegenheit und sah mir auch das Frauen-Endspiel vor dem Fernseher im Wohnzimmer an. Einige Spielerinnen kannte ich persönlich, und für mich war der 1. FFC Frankfurt mit Stars wie Birgit Prinz, Sandra Minnert und Steffi Jones gegen Turbine Potsdam klarer Favorit. Ich hatte mir ein paar Akten mitgenommen, die ich nebenbei studieren wollte – doch dazu kam es nicht. Denn vom Anpfiff an entwickelte sich ein mitreißendes Spiel. Die Mädels, vor allem die Turbinen, spielten einen begeisternden Fußball. Schnelle, flüssige Kombinationen, Torchancen ohne Ende – dieses Spiel erinnerte mich an die Fohlen vom Bökelberg.
Die Potsdamerinnen spielten und stürmten – und vergaben eine Torchance nach der anderen, genau wie häufig meine Gladbacher, wenn ich nur an Bernd Rupp denke. Ein glänzender Stürmer, der es aber auch schon einmal fertigbrachte, den Ball von der Torlinie über die Latte zu schießen. Vor allem Anja Mittag, eine junge U19-Nationalspielerin, beeindruckte mich an diesem Tag mit ihrer Schnelligkeit, mit ihrer Wendigkeit und ihren klugen Pässen. Irgendwann trafen die Turbinen dann doch ins Tor, gewannen 3:0, und Anja Mittag krönte ihre Leistung mit dem dritten Treffer.
Meine Jubelschreie lockten sogar meine Frau aus dem Garten ins Haus, weil sie wissen wollte, woher meine Gefühlsexplosion kam. Das ist Fußball von einem anderen Stern, sagte ich, Fußball der Frauen. Es war nicht nur Anja Mittag, die mich begeisterte, auch Petra Wimbersky, Conny Pohlers, Ariane Hingst und die anderen
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