Die Zwanziger Jahre (German Edition)
tut mir leid für den Rest der Welt: Aber wenn jetzt noch die Spieler aus dem Osten Deutschlands hinzukommen, sind wir auf Jahre hinaus unschlagbar.« Damit hatte er sich sehr weit vorgewagt und seinem Nachfolger Berti Vogts eine schwere Bürde aufgeladen.
Wir merkten bald, dass die sportliche Realität mit Beckenbauers Optimismus nicht Schritt hielt. Dass wir das EM -Finale 1992 gegen Dänemark verloren, konnte noch als Betriebsunfall durchgehen, aber als unsere Mannschaft mit all den Weltmeisterspielern 1994 in den USA im Viertelfinale an Bulgarien scheiterte, wurde allmählich klar, dass etwas nicht stimmte im deutschen Fußball. Spätestens nach dem EM -Desaster von 2000 mit dem 1:1 gegen Rumänien und Niederlagen gegen England (0:1) und Portugal (0:3), die zum Ausscheiden nach der Vorrunde führten, mussten wir feststellen, dass unser Fußball den Anschluss an die Weltspitze verloren hatte.
Wie konnte es passieren, dass Deutschland gerade zu der Zeit, da es sich wiedervereinigt hatte mit den starken Fußballregionen aus dem Osten, zu einer zweitklassigen Fußballnation wurde? Natürlich hatten wir Fehler gemacht. Wir hatten zu früh den deutschen Markt geöffnet für osteuropäische Spieler und darüber den Blick für die einheimischen Talente verloren. Die neue Freizügigkeit wurde in Deutschland so interpretiert, dass sie nicht nur für EU -Bürger galt, sondern auch für Spieler aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks, die noch nicht mal assoziiert waren. Plötzlich kamen lauter Bulgaren und Rumänen in die Bundesliga – unvergesslich der Samstag im Jahr2002 , an dem Energie Cottbus zu einem Bundesligaspiel elf ausländische Spieler aufs Feld schickte und kein einziger Deutscher mehr in der Anfangsformation stand.
Mussten wir also für unsere WM 2006 sportlich schwarzsehen? Wir haben viel darüber diskutiert, was wir tun konnten, um trotz aller Widrigkeiten eine starke Mannschaft ins Heimturnier zu schicken. Wir gründeten das »Team 2006«, in dem Perspektivspieler, die häufig nicht mal in ihren Bundesligaklubs einen Stammplatz hatten, auf internationaler Ebene Erfahrungen sammeln und Spielpraxis gewinnen sollten, um sich später in den Kader der A-Mannschaft einzureihen.
Doch eigentlich war das Team 2006 kaum mehr als eine Verzweiflungstat. Wir hatten einfach zu wenig gut ausgebildete Talente. Die Nachwuchsförderung hatte über Jahre nicht die notwendige Priorität. Wir hatten uns auch lange selbst eingelullt durch die Überzeugung, Deutschland habe das beste Trainerwesen der Welt. Das war in den Neunzigerjahren längst nicht mehr richtig. Durch die wachsende mediale Bedeutung des Fußballs, der immer mehr zur Unterhaltungsware wurde, hatten vielerorts die Sprücheklopfer Oberwasser. Manch ein populärer Trainer jener Jahre war eher Entertainer als ein moderner Fußballlehrer. Heute muss ein Trainer sowohl fachlich topfit sein als auch das Spiel mit den Medien beherrschen; das beste aktuelle Beispiel liefert Dortmunds Meistercoach Jürgen Klopp.
Gerhard Mayer-Vorfelder machte die Nachwuchsförderung zur Chefsache. Das war sein Metier. Er hielt die unzähligen Besprechungen mit den wichtigen Vertretern der Bundesliga nicht nur für notwendig, sondern er genoss sie geradezu. Für sein Projekt, das die Voraussetzungen dafür schaffen sollte, dass deutsche Nationalmannschaften bald wieder an der Spitze mitspielten, brachte er viel Zeit und Geduld auf. Unter seiner Verantwortung entstand das breit angelegte Talentförderkonzept.
Mit Weitsicht hatte der ehemalige Bundesliga- und DFB -Trainer Dietrich Weise bereits in den Neunzigerjahren ein kluges Konzept vorgelegt, wie man Talente schon im Alter von elf Jahren auf möglichst breiter Basis sichten und fördern konnte. So waren unter Egidius Braun die ersten Stützpunkte entstanden. Weises Konzept wurde unter der Verantwortung von MV mit erheblichen Mitteln ausgedehnt auf mehr als dreihundert Stützpunkte in ganz Deutschland, in denen Elf- bis Dreizehnjährige von qualifizierten Trainern ausgebildet wurden. Dieses Konzept kostete natürlich viel Geld. Um als damaliger Schatzmeister des DFB zu sprechen: Ich habe das mit Überzeugung unterstützt, weil für mich die Aufgabe des Schatzmeisters nicht in erster Linie darin besteht, Geld auf die hohe Kante zu schaffen, sondern es verantwortungsbewusst in den Sport zu investieren. Die Mittel waren da, um diesen großen Schritt zu wagen. Er war zwingend notwendig, wenn wir nicht in der Versenkung verschwinden
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