Die Zwanziger Jahre (German Edition)
versicherten.
Günter Netzer war mein sportliches Vorbild, seit ich mit dem Abitur 1965 die notwendige Reife erreicht hatte. Ich liebe und verehre ihn und mit ihm bis auf den heutigen Tag die Fohlenelf vom Bökelberg. Initialzündung war der 5:1-Sieg der Borussia beim Aufstiegsspiel am 29. Mai 1965 in Worms. Bernd Rupp und Jupp Heynckes schossen je zwei Tore, Herbert Laumen ein weiteres, doch Günter Netzer war der Stratege. Ich konnte mich nicht sattsehen, wenn er mit langen Schritten aus dem Mittelfeld nach vorne jagte, kluge Pässe spielte oder selbst vollendete. Für sein erstes und einziges B-Länderspiel am 10. März 1965 gegen Holland, das 1:1 endete, bin ich extra mit meinem Onkel aus Bremen nach Hannover gefahren, nur um ihn zu erleben.
Mein sportliches Vorbild und mein Idol bis zum heutigen Tag: Günter Netzer (©IMAGO).
Die Jahre 1970 bis ’72 waren die schönsten in meinem Leben als Fußballfan. Jetzt war ich fünfundzwanzig, etwas jünger als Günter Netzer, hatte meine Inspektorenprüfung bestanden, studierte Jura und hatte reichlich Zeit, mich um meinen geliebten Fußball zu kümmern. Beim zweiten Meistertitel der Borussia 1971 war ich natürlich beim letzten Spiel in Frankfurt und kam aus dem Feiern nicht mehr heraus. 1972 wurde dann die beste Nationalmannschaft, die wir je hatten, mit Günter Netzer als Anführer und vier weiteren Mönchengladbachern im Aufgebot durch ein 3:0 gegen die Sowjetunion in Brüssel Europameister. Folgerichtig wurde Netzer in diesem Jahr auch Fußballer des Jahres – für mich ist er das lebenslänglich. Was habe ich Helmut Schön verflucht, dass er diesen großartigen Fußballer bei der WM 1974 , aus welchen Gründen auch immer, kurzgehalten hat. Wir sind zwar trotzdem Weltmeister geworden. Aber mit Günter Netzer wäre es viel einfacher gewesen.
Dass ich mein Idol später persönlich kennenlernen und erleben durfte, dass er nicht nur ein großer Fußballer, sondern auch ein beeindruckender Charakter ist, das gehört zu meinen schönsten Erlebnissen in der späteren Funktionärslaufbahn. Mancher Ärger, der mit solchen Ämtern an der Spitze des Fußballs verbunden ist, wird durch solche einmaligen Erlebnisse ganz klein.
Umrahmt wurde die Feier zu meinem sechzigsten Geburtstag auch noch durch eine Rede von Otto Schily. Er betonte, wie sehr er mein gesellschaftliches Engagement unterstützte, weil er es für den Fußball und die Gesellschaft insgesamt für wichtig hielt. Ich hätte vor meiner Berufung ins WM OK nicht geglaubt, dass einer wie Otto Schily, den ich wegen seiner politischen Ausrichtung immer sehr kritisch gesehen hatte, zu meinem besten Ratgeber, ja sogar zu meinem Freund werden könnte. Er hat uns als Vorsitzender des WM OK immer klug beraten, war ehrlich, korrekt und entscheidungsfreudig. Ohne ihn und seinen Staatssekretär Göttrik Wewer wäre gewiss das kulturelle Programm dieser WM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern in dieser Form nicht zustande gekommen. Das war nicht jedermanns Sache in der Fußballlandschaft und deshalb nicht einfach. Aber der WM -Globus hat uns auch international viel an Imagegewinn gebracht.
Sie ist dem Fußball eng verbunden: im Tribünengespräch mit Angela Merkel (©IMAGO).
Daneben gab sich auch Angela Merkel, damals noch Oppositionsführerin, die Ehre bei meinem Geburtstag. Sie kam in der Tat mir zuliebe, was mich besonders gefreut hat. Wir kannten uns seit Beginn der Neunzigerjahre, als sie auf meinen Wunsch hin als Jugendministerin in der Regierung Kohl die Schirmherrschaft für unseren Jugendförderpreis übernommen hatte. Seit dieser Zeit wusste ich um ihre Affinität zum Fußball. Angela Merkels großes Interesse an diesem Sport ist ihr, das muss man sagen, zunächst nicht geglaubt worden. Sie erzählte mir, dass sie mit ihrem Vater in der damaligen DDR viele Fußballspiele besucht und dabei ihre Leidenschaft und Begeisterung für diesen Sport entdeckt hatte.
Ihre Fachkompetenz, das erfuhr ich in Mönchengladbach, war in der Tat ungewöhnlich für eine Politikerin. Sie saß während des Spiels neben mir, und wir sprachen darüber, wie stark die Politik heutzutage den Fußball beeinflusst und bisweilen auch vereinnahmt. Wenn hochrangige Politiker ihre Fußballbegeisterung zeigen, ist das in Ordnung. Aber es sollte nicht so ausarten, dass sie den Fußball benutzen, um sich in ein gutes Licht zu rücken. Angela Merkel betonte: »Es macht keinen Sinn, wenn ich jetzt möglichst bei jedem Fußballspiel
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