Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Schachtjor Donezk traf. Auch damals pfiffen die türkischen Zuschauer den vermeintlichen »Verräter« gnadenlos aus, und man spürte, wie ihm dieser Druck zu schaffen machte. Özil blieb weit unter seinen Möglichkeiten, die Bremer verloren 1:2. Doch an jenem Tag in Berlin hat er ein großartiges Spiel hingelegt und selbst ein schönes Tor beim 3:0-Sieg erzielt. Das zeigte, wie er in den vergangenen achtzehn Monaten gereift war und es geschafft hatte, äußere Einflüsse beiseitezuschieben. Auch deshalb ist er ein Vorbild für Sport und Gesellschaft.
Vorbild vor allem für junge Fußballer mit türkischen Wurzeln: Mesut Özil (©dpa Picture Alliance).
Vor allem für junge Spieler, wie sich ein halbes Jahr später zeigte. Wir besuchten gemeinsam ein Länderspiel der U17-Nationalmannschaft in Düsseldorf, und nach der Partie bat ich ihn, mich in die Kabine zu begleiten. Die jungen Fußballer, unter ihnen mindestens ein halbes Dutzend mit türkischen Wurzeln, machten große Augen, als ich ihnen meinen Begleiter präsentierte. Das Echo war frappierend: »Mesut, auch wir sind Deutsche, auch wir werden für Deutschland spielen«, riefen die Jungs. Mein Kontakt zu Mesut Özil ist immer ein besonderer geblieben. Wir simsen gelegentlich miteinander, einige Male hat er mich jetzt schon zu einem Spiel von Real Madrid eingeladen, und vielleicht wird es irgendwann klappen.
Hoffnung macht mir auch ein anderes Beispiel. Ich war als Begleiter unserer Junioren-Nationalmannschaften im Dezember 2010 in Israel bei einem Turnier, das nicht nur dem Sport diente, sondern auch der Bildung unserer jungen Nationalspielerinnen und Nationalspieler. Ein Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, die an die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten erinnert, war und ist Pflichttermin.
Ich habe immer wieder erlebt, wie die jungen Leute, die gut vorbereitet hineingingen, verändert und sehr nachdenklich wieder herauskamen. Besondern beeindruckt war ich von dem jungen Kapitän unser U18-Nationalmannschaft, Özkan Yildirim, der nach einer Kranzniederlegung von einem Reporter gefragt wurde: »Ihre Eltern und Großeltern kommen doch aus der Türkei, was haben Sie denn damit zu tun?« Worauf er mit großer Leidenschaft antwortete: »Ich bin Deutscher und muss mich mit dieser Vergangenheit beschäftigen, auch wenn sie meine eigenen Vorfahren nicht auf deutschem Boden erlebt haben.«
Solche Termine sind für deutsche Fußballer inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Dieses Engagement erweckt Erwartungen und Ansprüche, wie mein Nachfolger Wolfgang Niersbach im Vorfeld der jüngsten Europameisterschaft erfahren musste. Im März erschien wie aus heiterem Himmel ein Interview von Dieter Graumann, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, in dem dieser den DFB aufforderte, mit einem Besuch der Nationalspieler in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Auschwitz ein Zeichen zu setzen. Und hinterher mahnte Graumann, der mir immer ein guter Ratgeber war, ein Besuch der ganzen Mannschaft sei als Zeichen wesentlich wirkungsvoller gewesen.
Man kann ja zu der Form einer solchen symbolischen Geste stehen, wie man will. Klar ist, dass der DFB besser beraten gewesen wäre, von vornherein in die Offensive zu gehen und frühzeitig entsprechende Aktivitäten anzukündigen. Da entsprechende Überlegungen aber bestenfalls intern angestellt wurden, befand sich der Verband automatisch in der Defensive, als Graumann sein Interview gab. Es wirkte nun so, als reagiere der DFB nur auf dessen Forderungen und sei von selbst nicht auf die Idee gekommen. Gesellschaftliche Arbeit muss offensiv sein und bleiben, nur dann ist sie glaubwürdig. Alibiveranstaltungen taugen nichts.
Kampf gegen Homophobie
Zum gesellschaftlichen Kampf gegen Diskriminierung gehört auch der Kampf gegen Homophobie. Ich weiß, dass in den klassischen Männerdomänen, wozu der Fußball zweifelsfrei gehört, Homosexualität vielfach als ein Zeichen von Weichheit und Schwäche gesehen wird. Zu meiner Jugendzeit war Homosexualität noch strafbar, aber heute, so denke ich, haben wir verstanden, dass sexuelle Orientierung jedermanns und jeder Frau Privatsache ist. Auch hier ist der Fußball eine gute Plattform, um deutliche Zeichen zu setzen und das Bewusstsein zu ändern. Ich habe Interviews zu dieser Thematik gegeben und ich habe am Christopher Street Day in Berlin teilgenommen, um dort eine Frau zu ehren, die mir eine gute Freundin geworden ist – Tanja
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