Die Zwanziger Jahre (German Edition)
mit einer Sonderbehandlung, dies sei ›das Schema‹ gewesen. Amerell soll den Betroffenen vorab Einblick in geheime Informationen über Ansetzungen und die eingeteilten Schiedsrichterbeobachter gewährt haben, auch hin und wieder in die Fragen und Lösungen anstehender Regeltests. Das setzte voraus, dass man allein war, und wenn man mit ihm allein gewesen sei, dann sei das für ihn eine Gelegenheit gewesen zu grapschen.
Lange steht die Frage im Raum, wie sich die Schiedsrichter gewehrt haben. ›Man kann es über sich ergehen lassen oder ihn umbringen. Ich wusste nicht mehr weiter‹, sagt der Älteste, aufgewühlt. Der Jüngste sagt: ›Er hat gewusst, bei wem er so weit gehen kann. Es gibt nur ein kleines Zeitfenster, in dem man reagieren kann. Wenn man das verpasst, kommt man nicht mehr zurück.‹«
Es mag sein, dass Amerells Wahrnehmung von diesen Beziehungen eine andere war und ist. Aber wenn die drei jungen Schiedsrichter auch nur ansatzweise die Wahrheit gesagt haben, dann geben ihre Aussagen ganz gut wieder, in welchem Klima auch ein Michael Kempter seine Schiedsrichterkarriere voranzubringen gedachte. Macht, Abhängigkeit und Sex sind eine explosive Mischung, gerade in einem Leistungsbereich wie dem Schiedsrichterwesen, in dem es gilt, gerechte Noten festzulegen und jeden Anschein der Bevorzugung zu vermeiden. Die Schiedsrichter haben das Recht auf eine ehrliche und korrekte Beurteilung. Wenn der Obmann unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine besondere Beziehung zu einem der Schiedsrichter hat, weckt das automatisch den Verdacht, dieser Unparteiische werde bevorzugt. Ich habe nichts gegen ein Liebesverhältnis zwischen Manfred Amerell und einem Schiedsrichter. Dann aber darf er diesen Schiedsrichter nicht beobachten und bewerten.
Allein dieser Aspekt ist der Kern des Falles. Davon lenkte Amerell ab, indem er Prozesse anstrengte gegen Kempter, gegen den DFB und auch gegen mich. So schaffte er es, dass in der Öffentlichkeit nur noch darüber diskutiert wurde, wie freiwillig Kempter sich auf die sexuelle Beziehung mit einem Vorgesetzten eingelassen hatte.
Kempter selbst nährte die Zweifel durch widersprüchliche Aussagen, Amerell steuerte angeblich verräterische SMS seines jungen Gespielen bei, aus denen ein vertrauliches, ja liebevolles Verhältnis der beiden zu sprechen schien. So gelang es Amerell, große Teile der öffentlichen Meinung für sich einzunehmen und zu der Überzeugung zu bringen, der sittenstrenge DFB missgönne ihm seine sexuellen Abenteuerchen und stelle homosexuelle oder bisexuelle Funktionäre ins Abseits.
Mir wollte Amerell gerichtlich untersagen lassen, zu behaupten, er habe seine Amtspflichten verletzt. Dabei hatte er selbst am 11. März 2010 in einem Interview mit der »Augsburger Allgemeinen« auf die Frage nach den Gründen für seinen Rücktritt geantwortet: »Meine Glaubwürdigkeit war angegriffen. Außerdem ist es wie in der Politik: Wenn du einen Fehler gemacht hast, musst du deinen Hut nehmen. Ich habe einen Fehler gemacht, weil ich die notwendige Distanz nicht gewahrt habe.« Und der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte er am 8. März 2010: »Ich habe irgendwann die zwingend notwendige Distanz verloren. Ja, ich habe etwas falsch gemacht. Ich habe in meiner Funktion versagt, weil ich einer menschlichen Schwäche nachgegeben habe.« Das Landgericht Augsburg stellte fest, »dass sich der Antragssteller (also Amerell) selbst mehrfach Amtspflicht verletzenden Verhaltens bezichtigt hat«, und wies Amerells Klage gegen mich ab.
Der evangelische Bischof Wolfgang Huber, der ein Mediationsverfahren mit Manfred Amerell einzuleiten versuchte, beschäftigte sich intensiv mit den Vorgängen und arbeitete auf unsere Bitte hin eine schriftliche Stellungnahme aus. Darin heißt es: »Durch die Beschäftigung mit diesem Vorgang hat sich meine Überzeugung bestätigt, dass Leitungsverantwortung im Sport, insbesondere die Verantwortung von älteren Funktionären oder Übungsleitern gegenüber jüngeren Sportlerinnen und Sportlern, sich mit sexuellen Annäherungen nicht verträgt. Das gilt besonders für sexuelle Annäherungen eines Schiedsrichterfunktionärs an junge Schiedsrichter. Ein solches Verhalten ist nicht vereinbar mit den Pflichten eines Funktionärs, der unter anderem mit Personalbeobachtungen und - führungsaufgaben betraut ist und erheblichen Einfluss auf die Einsätze und die Laufbahn junger Schiedsrichter hat. Das sexuelle Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses
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