Die Zwanziger Jahre (German Edition)
aussprechen konnten. Ein Machtwort meinerseits hätte da gar nichts gebracht, mit Härte war in diesem Fall nichts zu gewinnen.
In der erfolgreich absolvierten Qualifikation spielte Ballack dann eine wichtige Rolle, nicht nur beim erwähnten Auswärtsspiel auf dem Moskauer Kunstrasen. Er ist zwar eine kantige und schwierige Persönlichkeit, auch weil er so erfolgsbesessen ist – aber es erschien uns allen unvorstellbar, ohne Michael Ballack in die WM zu gehen.
Seine Verletzung ließ uns keine Wahl. Und Joachim Löw hat mit seiner jungen, scheinbar führungslosen Mannschaft das Beste aus dieser Situation gemacht, mehr sogar, als man erwarten durfte. Er hat dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft eine andere Prägung gegeben, hat ganz auf die flache Hierarchie und die Mündigkeit jedes einzelnen Akteurs gesetzt. Das Ergebnis ist bekannt: Unser junges Team hat nicht nur erfolgreich abgeschnitten, sondern auch einen begeisternden Fußball gespielt. Und viele von denen, die wenige Wochen zuvor Michael Ballacks Ausfall wie den Untergang des Fußballabendlandes beklagt hatten, waren nun der Meinung, ohne Ballack könne die Mannschaft viel besser spielen, es sei höchste Zeit gewesen, den altmodischen Kapitän aus dem Verkehr zu ziehen.
Für mich hatten Ballacks Verletzung und der Auftritt der Mannschaft in Südafrika ohnehin deutlich gemacht, dass es in der Ära Löw nicht mehr auf einige wenige ankommt, sondern dass die Nationalmannschaft auf allen Positionen Elitefußballer aufbieten kann und als Team auftritt. Ob ein Michael Ballack selbst im Vollbesitz seiner Kräfte und in Topform diese veränderte Konstellation akzeptiert hätte, kann zumindest bezweifelt werden.
Michael Ballack hat es als Provokation empfunden, als Philipp Lahm noch während der WM , nach dem berauschenden Viertelfinalsieg gegen Argentinien und vor dem Halbfinale gegen Spanien, ein Interview gab, in dem er sich freimütig dazu bekannte, dass die Mannschaft auch ohne Ballack bestens funktionierte. Seine Aussage, er werde die Kapitänsbinde, die er während der WM trug, gewiss nicht freiwillig an Ballack zurückgeben, erregte viel Aufsehen und wurde als offene Kampfansage betrachtet.
Gerade im Umfeld eines solchen Turniers müssen alle Interviews autorisiert werden, und normalerweise ist die Sensibilität sehr groß, dass kein falsches oder missverständliches Wort gedruckt oder gesendet wird. Unser Pressechef Harald Stenger hat mir berichtet, als er das Interview vor Erscheinen dem Bundestrainer vorlegte, habe der nur mit einer flüchtigen Handbewegung reagiert, als wolle er den brisanten Text sozusagen durchwinken. Vielleicht war er der Meinung, dass die Spieler diese Angelegenheit unter sich ausmachen sollten.
Aber Michael Ballack ist nicht der Typ, der so schnell aufgibt. Natürlich wollte er nach der WM zurück ins Nationalteam und seinen Anspruch auf die Führungsrolle erneuern. Doch es gelang ihm nicht, weil er lange unter den Nachwirkungen seiner schweren Verletzung litt. Es kamen weitere Blessuren hinzu, auch bei seinem neuen Klub Bayer Leverkusen kam er nur schwer in Tritt. Jedenfalls lieferte er nach Meinung der meisten Experten dem Bundestrainer wenig Argumente, ihn erneut zu berufen.
Für uns an der Spitze des DFB , die wir uns natürlich in die Personalentscheidungen des Bundestrainers nicht einmischen, war nur so viel klar: Sollte Michael Ballacks Karriere in der Nationalmannschaft zu Ende gehen, er sich gar für einen Rücktritt entscheiden, dann hatte er eine würdige Verabschiedung verdient. Er hatte 98 Länderspiele absolviert, und die Hundert sollte er nach unserer Meinung auf alle Fälle noch schaffen. Das Jubiläumsspiel wäre dann gleichzeitig sein letztes gewesen, der Gegner Brasilien durchaus angemessen.
Doch dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Die Gespräche, die Ballack mit Joachim Löw über seine Zukunft im Nationalteam führte, wurden von den Beteiligten unterschiedlich beurteilt und wiedergegeben. Ich war nicht dabei und kann deshalb nicht sagen, wer recht hat und wer nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass Ballack aus Löws Worten vielleicht mehr herausgehört hat, als drinsteckte. Es ist nicht Löws Art, einem verdienten Nationalspieler deutlich ins Gesicht zu sagen: Ich kann dich nicht gebrauchen, für dich ist bei uns kein Platz mehr. Auf der anderen Seite kann er wegen zurückliegender Verdienste nicht das Leistungsprinzip aufbrechen, das im Team herrscht. Schon länger war mein Gefühl, dass der
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