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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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zusammenkneifen muss.
    Von der Straße sieht ein Mann herauf und lächelt ihr zu. Er hat ein wohlwollendes, freundliches Gesicht. Sie liebt diesen Mann von ganzem Herzen. Sie kennt ihn seit jeher und hat ihn immer schon geliebt. Sie möchte zu ihm laufen, damit er sie in die Arme nimmt, möchte ihn zurückhalten, seinen Namen rufen, aber sie hat keine Stimme mehr. Also winkt sie ihm zu. Als Antwort schwenkt der Mann seine Mütze und schenkt ihr erneut ein Lächeln, bevor er verschwindet.
    Alice schlug die Augen auf. Daldry stützte sie, führte ein Glas an ihre Lippen und bat sie inständig, langsam zu trinken.
    »Ich habe ihn gesehen«, murmelte sie. »Er war da.«
    »Ja, der Arzt war hier«, erklärte Daldry. »Um an einem Sonntag zu kommen und noch dazu an Weihnachten, muss er wirklich sehr gewissenhaft sein.«
    »Es war nicht der Arzt.«
    »Er sah aber ganz so aus.«
    »Ich habe den Mann gesehen, der mich dort unten erwartet.«
    »Schön«, sagte Daldry, »darüber unterhalten wir uns, wenn es Ihnen besser geht. Jetzt ruhen Sie sich erst mal aus. Ich habe den Eindruck, das Fieber ist schon etwas gesunken.«
    »Er ist viel schöner, als ich vermutet hätte.«
    »Daran zweifele ich keine Sekunde. Ich sollte auch die Grippe bekommen, dann würde mich vielleicht Esther Williams besuchen. In Spiel zu dritt war sie unwiderstehlich.«
    »Ja«, murmelte Alice halb im Fieberwahn, »er hat mich zum Ball geführt.«
    »Wunderbar, dann kann ich ja inzwischen in Ruhe schlafen.«
    »Ich muss ihn suchen«, flüsterte Alice mit geschlossenen Augen, »ich muss dorthin fahren und ihn wiederfinden.«
    »Hervorragende Idee! Doch ich rate Ihnen, noch ein paar Tage zu warten. Ich bin nicht ganz sicher, dass in Ihrem jetzigen Zustand die Liebe auf den ersten Blick gegenseitig wäre.«
    Alice war wieder eingeschlafen. Daldry seufzte und nahm erneut in seinem Sessel Platz. Es war vier Uhr morgens, sein Rücken schmerzte von der unbequemen Position, und sein Nacken war völlig verspannt, doch Alice schien wieder ein wenig Farbe zu bekommen. Dank des Aspirins sank das Fieber. Daldry schaltete das Licht aus und betete, dass er bald Schlaf finden möge.
    Ein durchdringendes Schnarchen weckte Alice. Ihre Glieder schmerzten noch, aber sie fror nicht mehr, und eine sanfte Wärme umhüllte sie.
    Sie öffnete die Augen und entdeckte ihren Nachbarn, der, die Decke zu seinen Füßen, in ihrem Sessel zusammengesunken lag. Es amüsierte Alice, dass sich seine rechte Augenbraue im Rhythmus seines Atems hob und senkte. Ihr wurde klar, dass Daldry die Nacht über bei ihr gewacht hatte, was ihr unglaublich peinlich war. Sie nahm vorsichtig ihre Decke, wickelte sich hinein und schlich auf Zehenspitzen zu dem Gaskocher. Unter unendlichen Vorsichtsmaßnahmen, um keinen Lärm zu machen, bereitete sie Tee zu und wartete, bis dieser fertig war. Daldrys Schnarchen verstärkte sich und wurde so laut, dass es ihn selbst im Schlaf störte. Er wandte sich zur Seite, rutschte und landete der Länge nach auf dem Fußboden.
    »Was machen Sie da?«, fragte er und gähnte herzhaft.
    »Tee«, antwortete sie und schenkte ihn in zwei Tassen.
    Daldry rappelte sich auf, streckte sich und rieb sich das Kreuz.
    »Los, sofort wieder ins Bett.«
    »Es geht mir schon viel besser.«
    »Sie erinnern mich an meine Schwester, und das ist kein Kompliment. Ebenso dickköpfig und leichtsinnig. Kaum sind Sie wieder halbwegs bei Kräften, laufen Sie in der Kälte herum. Keine Diskussion, ab ins Bett! Ich kümmere mich um Ihren Tee. Das heißt, wenn meine Arme mitmachen. Ich habe das Gefühl, mein ganzer Körper ist eine einzige Ameisenkolonie.«
    »Es ist mir unangenehm, dass Sie so viel für mich tun«, gab Alice zurück und gehorchte.
    Sie setzte sich ins Bett und nahm das Tablett, das er ihr reichte, auf den Schoß.
    »Haben Sie etwas Appetit?«
    »Nein, nicht sonderlich.«
    »Macht nichts, Sie müssen trotzdem essen, das ist wichtig«, beharrte Daldry.
    Er ging in seine Wohnung und kam mit einer Metalldose zurück.
    »Sind das echte Shortbreads?« , fragte sie.
    »So echt, wie es nur geht, sie sind hausgemacht«, erklärte er stolz und tunkte einen Keks in seinen Tee.
    »Die sehen ja köstlich aus.«
    »Natürlich! Ich habe sie schließlich selbst gebacken.«
    »Das ist verrückt …«
    »Was ist verrückt an meinen Shortbreads ?«, empörte sich Daldry.
    »Ich meine, wie manche Geschmacksnuancen einen an die Kindheit erinnern können. Meine Mutter backte sonntags welche, die wir dann

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